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Gerichtsklage wegen CO2-Emissionen: RWE kann sich nicht aus der moralischen Verantwortung stehlen

RWE soll zahlen, weil der Klimawandel einen Gletscher in Peru schmilzt. Ist das gerecht? Ein Kommentar

Ein Kommentar von Max Tholl

Es mutet fast wie ein Stück Performancekunst an, doch für Saúl Luciano Lliuya geht es um Leben und Tod. Die Klage, mit der er den deutschen Energieriesen RWE zur Rechenschaft ziehen will, ist außergewöhnlich. Die Bewohner seines peruanischen Heimatdorfes leben in Gefahr: Der Wasserspiegel des nahegelegenen Gletschersees steigt wegen des Klimawandels seit Jahren, eine Flutwelle hätte verheerende Folgen. Deshalb soll RWE einen Schutzdamm für das Dorf mitfinanzieren. Das Oberlandesgericht Hamm wird wahrscheinlich die Beweisaufnahme gegen den Konzern zulassen.

Es ist recht klar, wo die Sympathien bei diesem Fall liegen: auf der einen Seite der Leidtragende, ein peruanischer Kleinbauer, auf der anderen Seite der Übeltäter, ein Wirtschaftsgigant, der mit klimaschädlicher Braunkohle Milliardenprofite erzielt. Ein klassischer „David gegen Goliath“-Fall. Doch wäre ein Happy End auch gerecht?

Vor einem Jahr wies das Landgericht Essen die Klage zurück, es gebe keine „ausreichenden Beweise“, um eine „rechtlich kausale Verursachung“ zu begründen. RWE trägt zwar Mitschuld am Klimawandel und dieser gefährdet Lliuyas Dorf. Aber lässt sich Schuld bei einem so komplexen Problem genau festhalten, lassen sich kausale Zusammenhänge herstellen? Es gibt beim Klimawandel zwar reichlich rauchende Colts, aber es lässt sich nur schwer ermitteln, welche Kugel im Kugelhagel letztendlich die tödliche war. RWE soll anscheinend 0,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantworten und deshalb 0,5 Prozent der Kosten des Schutzdamms übernehmen. Was ist mit den restlichen 99,5 Prozent? Müssten nicht auch sie zahlen?

Der Schaden ist da und die Schuld unbestreitbar

Unter diesem Gesichtspunkt wäre es juristisch fragwürdig, allein RWE zur Rechenschaft zu ziehen. Das heißt aber nicht, dass es auch moralisch falsch wäre. Denn der Schaden ist da und die Schuld unbestreitbar. Nur weil Kausalität beim Klimawandel schwer zu etablieren ist und sich die Schuld auf viele Köpfe verteilt, erlischt die Verantwortung der Einzelnen nicht – insbesondere derer, die mit Klimaschäden ihre Profite erzielen. RWE gehört dazu.

Das Spannungsverhältnis zwischen kollektivem Schaden und Verantwortung des Einzelnen steht nicht nur im Fokus dieses Prozesses, sondern der Klimapolitik im Allgemeinen. Politiker wie Donald Trump höhlen das Gerechtigkeitsprinzip aus, um sich aus den eigenen Verpflichtungen zu stehlen – zum Leid von Menschen wie Lliuyas, die selber aktiv werden müssen, um sich vor den Folgen der Erderwärmung zu schützen. Und die mehren sich. Studien belegen, dass immer mehr private Kläger versuchen, einen kausalen Zusammenhang zwischen staatlichen oder wirtschaftlichen Aktivitäten und den Folgen des Klimawandels aufzuzeigen. Es geht darum, Präzedenzfälle und neue Machtverhältnisse zu schaffen, auch in Hamm.

Der geforderte Anteil, den RWE beim Bau des Schutzdamms zahlen soll, liegt bei 17 000 Euro, ein Klacks für den Konzern. Doch ein Sieg wäre ein unbezahlbares Instrument für die Davids dieser Welt. Sie könnten zukünftig auf Augenhöhe für ihre Interessen kämpfen. Das wäre nur gerecht.

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