
© Getty (2); Collage: Tagesspiegel
Sanktionen, Schonvermögen, Totalverweigerer : Das ändert sich nun beim Bürgergeld
Das Kabinett hat am Mittwoch die Pläne für eine neue Grundsicherung beschlossen. Was sich ändert – und welche wichtigen Punkte öffentlich bisher kaum diskutiert werden.
Stand:
Schwarz-Rot hat sich geeinigt, zumindest vorerst: Es gibt einen Gesetzentwurf für die Reform des Bürgergelds hin zur neuen Grundsicherung. Er wurde am Mittwoch im Kabinett verabschiedet und liegt dem Tagesspiegel vor.
Nach dem Kabinettsbeschluss, also im parlamentarischen Verfahren, könnte der Großkonflikt zwar noch einmal aufbrechen. Aber die Grundlage für die Reform ist nun da.
Das Wichtigste im Überblick.
Wie wurde der jüngste Streit um Sanktionen gelöst?
Zuletzt hatten das Innen- und das Wirtschaftsministerium, beide unionsgeführt, den Gesetzentwurf aufgehalten. Man war sich zwischen den Koalitionspartnern uneins, wie hart man vorgehen will, wenn Menschen für das Jobcenter nicht mehr erreichbar sind. Geeinigt hat man sich nun wie folgt:
- Wer einen ersten Termin versäumt, wird nicht sanktioniert.
- Beim zweiten verpassten Termin soll der Regelsatz, also die Geldüberweisung aufs Konto, für einen Monat um 30 Prozent (rund 150 Euro) gekürzt werden. Die Zahlungen für Miete und Heizung sind hier noch nicht berührt.
- Wird auch der dritte Termin verpasst, greift ein zweistufiges Verfahren: Die Kosten der Unterkunft werden zunächst für einen Monat weitergezahlt. Wenn die Person auch innerhalb dieses Monats nicht erreichbar ist, werden jedoch alle Zahlungen vollständig eingestellt.
- Das gilt jedoch nicht für Familien: Die Kosten für Miete und Heizung werden weitergezahlt, allerdings direkt an den Vermieter. Auch wird der Regelsatz des zweiten Elternteils und der Kinder nicht gemindert.
- Bevor die Leistungen komplett eingestellt werden, wird allen Betroffenen die Gelegenheit zur persönlichen Anhörung gegeben. Aufsuchende Sozialarbeit werden die Jobcenter aber nicht leisten müssen. Das heißt in der Praxis: Die Betroffenen bekommen einen Brief mit einem Kontaktangebot, es liegt aber in ihrer Verantwortung, darauf zu reagieren.
- Besonderes Augenmerk liegt allerdings auf zwei Gruppen: Menschen mit psychischer Erkrankung und Menschen, die nicht in der Lage sind, sich schriftlich zu äußern, etwa weil sie kein Deutsch sprechen oder Analphabeten sind. Hier sollen sich die Jobcenter, soweit sie um die Umstände wissen, besonders um eine persönliche Anhörung bemühen.
Was haben Pflichtverletzungen künftig für Folgen?
Eine andere Gruppe sind Menschen, die zwar für das Jobcenter erreichbar sind, aber anderweitig die Kooperation verweigern – etwa, indem sie sich zu wenig bewerben oder eine Eingliederungsmaßnahme schwänzen.
In diesem Fall gibt es bisher gestaffelte Sanktionen, künftig wird die Regel schärfer: Der Regelbedarf kann direkt um 30 Prozent, also rund 150 Euro, für drei Monate gemindert werden. Die Kosten für Miete und Heizung zahlt das Jobcenter aber weiter.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Zu Zeiten der Ampelkoalition war eine Sanktion für sogenannte Totalverweigerer eingeführt worden, die eine konkrete Stelle ablehnen. In der Praxis kam diese Sanktion aber kaum zur Anwendung. Nun wird sie verschärft: Der Regelsatz (nicht aber die Leistungen für Miete und Heizung) wird für mindestens einen und maximal zwei Monate komplett gestrichen, ein vorheriger Verstoß gegen die Pflicht zur Arbeitsaufnahme ist nicht mehr notwendig.
Absehbar wird aber auch dieses Instrument in der Praxis keine große Rolle spielen. Auch hier gilt außerdem: Ist eine Familie betroffen, wird der Regelsatz der Angehörigen nicht gemindert.
Welche wichtige Bürgergeld-Neuerung für Eltern kleiner Kinder wurde öffentlich noch nicht breit diskutiert?
Für Eltern mit Kleinkindern ändern sich die Rahmenbedingungen spürbar: Bisher konnte bis zum dritten Geburtstag eines Kindes ein Elternteil zu Hause bleiben und Bürgergeld beziehen, ohne zur Arbeitsaufnahme gedrängt zu werden.
Das ändert sich nun. Es wird künftig ab dem ersten Geburtstag des Kindes als zumutbar gelten, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder an einer Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen, soweit die Kinderbetreuung gesichert ist. Auch werden die individuellen Umstände geprüft.
Damit wird im Grundsicherungssystem der gesellschaftliche Wandel der vergangenen Jahre nachvollzogen: Für viele Familien, die ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften, ist es auch nicht mehr möglich, dass ein Elternteil bis zum dritten Geburtstag des Kindes zu Hause bleibt.
Was ändert sich beim Schonvermögen?
Bisher gilt eine Karenzzeit: Im ersten Jahr im Bürgergeld wird bei einem Alleinstehenden ein Vermögen von 40.000 Euro nicht angetastet, danach sind es nur noch 15.000 Euro. Diese Karenzzeit wird nun abgeschafft.
Außerdem soll die Höhe des Schonvermögens künftig vom Lebensalter abhängen. Bis zum 30. Geburtstag sind es 5000 Euro, bis zum 40. Geburtstag 10.000 Euro, bis zum 50. Geburtstag 12.500 Euro und nach dem 50. Geburtstag 20.000 Euro.
Wie wird die Karenzzeit bei den Wohnkosten verschärft?
Bisher gilt: Im ersten Jahr im Bürgergeld wird die Miete auch dann übernommen, wenn sie eigentlich zu hoch ist. Das wird künftig gedeckelt: Gezahlt wird nur noch das Anderthalbfache der eigentlich angemessenen Summe.
Bürgergeldreform: Was wird außerdem geändert?
Es gibt weitere relevante Neuerungen:
- Ein Streitpunkt war der Vermittlungsvorrang. Hier geht es um die Frage, ob Menschen lieber direkt in einen Job vermittelt werden sollen, auch wenn dieser wenig Perspektive bietet, oder ob man sie lieber qualifiziert, um sie nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Der Vermittlungsvorrang wird in der Tendenz gestärkt, die Jobcenter können aber nach wie vor auf Qualifizierung setzen, wenn ihnen das als die bessere Strategie erscheint. Hier hat sich die Union mit ihrem Wunsch nach einem strikten Vermittlungsvorrang also unterm Strich nicht durchsetzen können.
- Künftig wird im Gesetz explizit klargestellt, dass Vollzeitarbeit erwartet wird, damit die Empfänger der Grundsicherung ihren Lebensunterhalt wieder selbst verdienen können.
- Für Arbeitgeber gibt es (schon heute) Zuschüsse, wenn sie Langzeitarbeitslose einstellen. Dieses Instrument wird auf einen größeren Personenkreis ausgeweitet. Davon profitieren zum Beispiel Frauen und Geflüchtete, die schon längere Zeit Sozialleistungen erhalten, aber nicht als arbeitslos gelten, weil sie Kinder betreuen oder an Integrationskursen teilnehmen.
- Wer als Arbeitgeber schwarz arbeiten lässt, muss künftig mit dafür haften, wenn der Beschäftigte nebenbei verbotenerweise Grundsicherungsleistungen bezieht.
- Schwarz-Rot will gegen Ausbeuter vorgehen, die Menschen in Schrottimmobilien auf beengtem Raum unterbringen. Kommunale Träger können künftig in solchen Fällen eine Höchstmiete pro bewohntem Quadratmeter festlegen.
Spart die Bürgergeldreform Geld?
Im Gesetzentwurf wird nur mit sehr geringen Auswirkungen der Reform auf die öffentlichen Kassen gerechnet. Schwarz-Rot plant wie folgt: 86 Millionen Euro Ersparnis im Jahr 2026, 70 Millionen Euro Ersparnis im Jahr 2027. Für das Jahr 2028 wird sogar mit elf Millionen Euro Mehrkosten gerechnet, für das Jahr 2029 mit neun Millionen Euro Mehrkosten.
Das zeigt: Relevante Beträge sind mit schärferen Sanktionen nicht zu sparen. Das ginge nur, wenn es gelingen würde, tatsächlich mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Wenn 100.000 Menschen arbeiten statt Grundsicherung zu beziehen, spart das dem Bund ungefähr 750 Millionen Euro pro Jahr und den Kommunen rund 100 Millionen Euro. Noch deutlich größer sind die Einsparungen, wenn künftig jeweils eine komplette Familie vom selbst erarbeiteten Einkommen leben kann.
Wann soll das Gesetz zum Bürgergeld in Kraft treten?
Angepeilt ist der 1. Juli 2026 als Starttermin der Reform. Das ist allerdings insbesondere wegen der notwendigen IT-Anpassungen bei der Bundesagentur für Arbeit ein höchst ambitioniertes Ziel. Die Bundesagentur hat in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass sie den Starttermin für nicht seriös machbar hält.
Wie geht es nach dem Kabinettsbeschluss weiter?
Am Mittwoch hat das Kabinett den Entwurf beschlossen, in der Regierung herrscht nun Einigkeit. Der Bundesrat muss nicht zustimmen. Die Frage wird jedoch sein, ob im parlamentarischen Verfahren, also bei den Beratungen der Bundestagsfraktionen, die Konflikte zwischen Union und SPD wieder aufbrechen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: