Politik: Schalom auf Deutsch
Von Stephan-Andreas Casdorff
Der Bundespräsident hat deutsch gesprochen. In der Knesset. Es war Johannes Rau, der im Februar 2000 deutsch sprechen durfte, die Sprache der Täter im Land der Opfer. Ihm war es vorbehalten, an ein Tabu zu rühren, weil Rau als Person zugleich ein Begriff ist: gelebte Versöhnung. Die Hälfte seines Lebens hat er darauf verwandt, im deutschen Namen zu sühnen, Freundschaft zu erwerben. Das zählt zu seinen bleibenden, großen Verdiensten.
Der Bundespräsident hat anfangs hebräisch gesprochen, dann deutsch, in der Knesset, und diesmal hieß er Horst Köhler. Dass er es durfte, hat auch mit Rau zu tun und vor allem damit, dass wir 40 Jahre israelischdeutsche Beziehungen feiern dürfen. Darin liegt ein Unterschied: Köhler redete in erster Linie als Repräsentant einer gefestigten Demokratie, eines verlässlichen politischen und des größten Wirtschaftspartners in der Europäischen Union. Die Person musste für Israel erst noch sichtbar werden.
In Israel auch noch den Kanzler zu geben, wäre nicht klug gewesen. Die Übereinstimmung mit dem Kanzler zu betonen, wenn auch indirekt, hilft viel mehr beim Versuch, glaubwürdig eine deutsche Demokratie im Ausland zu vertreten. Dass die Schoa zur „deutschen Identität“ gehört, wie Köhler sagt – in Gerhard Schröders Worten ist das die „gelebte Verfassung“. Der Präsident hat sozusagen die Präambel formuliert, und das zu Anfang seiner Rede; was wirkt, wie statuiert. Solche Sätze entfalten Bindungskraft.
Im Verlauf der Rede dann hat Köhler drei politisch-operativ bedeutsame Punkte gesetzt. Der erste ist ein außenpolitisches Diktum. Die deutsche Politik muss jederzeit und an jedem Ort die Menschenrechte schützen und will sich daran messen lassen. So sagt es der Präsident. Die Deutung, auf Thesen zugespitzt: Deutschland will dafür in den Weltsicherheitsrat; seine Politik weltweit richtet sich an der Menschenwürde aus und schließt alle Optionen ein. Der zweite Punkt ist innenpolitisch. Indem der Bundespräsident „uns alle“ zu einem „offensiven“ Umgang mit Rechtsextremisten und Antisemiten drängt und Lehrern, Eltern, auch uns Journalisten vorhält, wir sollten uns fragen, ob wir wirklich wirksam aufgeklärt hätten, fordert er deutlich mehr als bisher – auch ein NPD-Verbot? Man kann das so lesen.
Punkt drei, die Zukunft. Wie es seiner Herkunft entspricht, ist Köhler deutlich auf die Wirtschaft orientiert. In dieser Rede variiert er aber seine Reform-Botschaft, verbindet sie mit Israel, von dem Deutschland sowohl im Handel als auch im Wandel lernen könne, was Innovation, Hochtechnologie, Wissenschaft für neue Arbeitsplätze und Aufschwung bedeuten können. Nahezu biblisch ist dieses Bild: Wer die Wüste fruchtbar macht … Köhler hat Unternehmer zu Mut aufgefordert und sich selbst sehr deutlich zu diesem Ziel bekannt. Mehr noch, er hat Israel in einer Weise an die EU herangerückt, die wie die Verheißung auf künftige Mitgliedschaft klingt.
Alle drei Punkte sind, wohlformuliert, von einer Art, dass sie wirken – nein, nicht wie Handlungsanweisungen, aber doch wie Handlungsanleitungen. Und sie bleiben knapp unterhalb eines Versprechens.
Seine Tränen sprachen für Köhler. Seine Rede auch. In Israel hat er eine Form gefunden, die eines Bundespräsidenten würdig ist. Aus dem, was er sagte, lässt sich viel herauslesen über ihn, und viel hineinlesen in das, was er will. Horst Köhler meint, was er sagt, durchaus operativ. Aber er hat Spielraum für Interpretation gelassen. Das war politisch. Und klug. An diesem Ort!
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