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Politik: Schröders Ethikrat: Einigkeit und Recht und Konsens

Nicht alles, was typisch deutsch ist, ist auch gleich falsch. Beispielsweise das Deutscheste vom Deutschen: der Konsens.

Nicht alles, was typisch deutsch ist, ist auch gleich falsch. Beispielsweise das Deutscheste vom Deutschen: der Konsens. Wir mögen es halt, wenn alle Konflikte so geregelt werden, dass am Ende keiner das Gesicht verliert, niemand in die innere oder äußere Emigration geht.

Die Politik richtet sich nach diesem Konsensbedürfnis. Das war bei Helmut Kohl nicht anders als es bei Gerhard Schröder ist. Höchstens ist es bei diesem noch stärker, weil er weniger Rücksicht auf Prinzipien und sachliche Notwendigkeiten nimmt. Bei Schröder ist der Konsens das Ziel. Diesmal jedoch, bei der Gentechnik, ist der Konsens keine Routineangelegenheit, sondern eine atemberaubende, auch riskante Aufgabe.

Bei der Gentechnologie geht es um etwas Fundamentales, das in unsere große Konsensmaschinerie eingespeist werden muss. Was immer man über den Anfang des Menschen, über Embryonen, Klone und Menschenwürde denkt, was auch immer die anstehende Debatte hervorbringen mag: Am Ende muss eine Lösung stehen, die nicht die Wissenschaftler zwingt, nach Amerika auszuwandern und nicht die Theologen nach Rom.

Aber geht das überhaupt? Kann sich ein Christ, der den Embryo als Menschen betrachtet, mit einem Wissenschaftler einigen, für den diese 200 Zellen nur Material sind? Sicher nicht auf halbem Wege, wie das sonst bei Tarifverhandlungen üblich ist. Auch nicht, indem man beide zusammen in eine Kommission steckt, die darüber wacht, wenn an Embryonen experimentiert wird. Oder doch? Reicht Verfahrensgerechtigkeit, wo man sich auf die Legitimität in der Sache nicht einigen kann? Diesmal nicht, noch nicht.

Noch hatten wir in Deutschland darüber keine breite politische Debatte. Jetzt langsam beginnt sie. Immer mehr Politiker eignen sich Fachwissen an, die Zahl der Symposien, Thesen und Interviews schwillt an. Und der Kanzler stellt gerade einen Trichter auf, in den das alles fließen soll: den Nationalen Ethikrat. Noch bevor die Zusammensetzung des Rates überhaupt feststeht, beginnt der Konsenszwang schon zu wirken. Der Kanzler wird, wie es aussieht, alle in den Rat hineinbekommen, die er wollte. Die beiden Kirchen schicken zwar klugerweise nicht ihre höchsten Repräsentanten, aber auch nicht gerade Nobodys: Wolfgang Huber, Bischof in Berlin-Brandenburg, wird wohl die Protestanten vertreten, Gebhard Fürst, Bischof in Rottenburg-Stuttgart die Katholiken.

Im Zentrum dieses Rates wird Ernst-Ludwig Winnacker sitzen. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Biochemiker ist so etwas wie der Godfather der deutschen Genetik. Auch das ist typisch deutsch und doch nicht falsch: Winnacker, der gentechnische Förderer, tritt nicht etwa als heißblütiger Missionar des Fortschritts auf, sondern als skrupulöser, bedächtiger Vordenker. Und Umdenker. Ob er etwa noch immer gegen die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist, scheint in letzter Zeit unsicherer geworden zu sein. Darum aber wird es gehen. Und um die Präimplantationsdiagnostik (PID), das Aussortieren von kranken Embryonen.

Zweimal hat Deutschland bereits Debatten erlebt, die sich Kompromissen eigentlich entziehen: Abtreibung und Hirntod. Am Ende wurden wackelige Kompromisse gefunden. Doch diesmal geht es um mehr, um Grundsätzlicheres: Diesmal sind die Embryonen nicht mehr in einer Frau, sondern in Petrischalen, und wir streiten nicht um die letzten Minuten des Menschen, sondern um seine Gestalt und Würde von Anfang an. Die deutsche Konsensgesellschaft steht vor ihrer größten Herausforderung.

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