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Martin Schulz hat schon zu Beginn einen großen Fehler gemacht, glaubt Verhandlungsexperte Schranner.

© AFP

Verhandlungsexperte Matthias Schranner: „Schulz hat gleich zu Anfang einen Fehler gemacht“

Früher hat Matthias Schranner als Polizist mit Geiselnehmern verhandelt, jetzt berät er Unternehmen und Politiker: Wie der Verhandlungsexperte die Koalitionsgespräche sieht.

Herr Schranner, Sie haben früher mit Geiselnehmern verhandelt, jetzt beraten Sie Unternehmen und Parteien. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Koalitionsverhandlungen und dem Umgang mit Verbrechern?

Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass sie Fehler machen, wenn es emotional wird. Ein klassischer Fehler ist eine zu frühe Festlegung. Zum Beispiel der Geiselnehmer, der sagt: Wenn ich dies nicht bekomme, mache ich jenes. Er kann dann von dieser Position ohne Gesichtsverlust nicht mehr abweichen. Den gleichen Fehler hat Martin Schulz im Laufe der Regierungsbildung gemacht.

Indem er eine Groko zunächst ausschloss?

Ja. Das schadet ihm jetzt dramatisch. Erst sagt er, die Groko kommt nicht, dann wirbt er plötzlich dafür und verkauft sie als einzig richtige Lösung. Er hat auch gesagt, er werde nie in ein Kabinett Merkel eintreten, jetzt will er genau das. Diese Kehrwenden haben ihn Glaubwürdigkeit gekostet – auch innerhalb der Verhandlungen. Er kann nicht mehr überzeugend verkörpern, dass er etwas Neues anfangen möchte. Er kann niemanden mehr mitreißen. Diese Dynamik bräuchte er aber. Man merkt, wie überfordert er mit der Situation ist. Er ist in einer Sackgasse.

Was hätte Schulz denn machen sollen?

Er hätte von Anfang an sagen müssen: Wir gehen in eine Groko, wenn die Voraussetzungen stimmen. Die SPD ist schließlich immer noch zweitstärkste Kraft. Sie hätte dann eine vernünftige Verhandlungsposition gehabt. Oder Schulz hätte nach dem Ende von Jamaika sagen können: Es gibt die Notwendigkeit für eine Groko, aber ich stehe dafür nicht zur Verfügung. Dann hätte er jemandem den Vortritt lassen müssen, der Leidenschaft für die Regierungsbildung hat.

Bei den Sondierungen hat die SPD bestimmten Punkten erst zugestimmt und der Parteibasis dann trotzdem Nachverhandlungen bei Familiennachzug, Zwei-Klassen-Medizin und sachgrundloser Befristung versprochen. Kann das Taktik gewesen sein?

Das wäre verhandlungstechnisch Quatsch. So sieht es so aus, als hätte die SPD schlecht verhandelt und müsste jetzt nachjustieren, weil sie intern Druck bekommt.

Matthias Schranner.

© Schranner

Also hat Merkel leichtes Spiel?

Nein. Sie kann sich ein Ende der Verhandlungen politisch ebenso wenig leisten. Merkel hat außerdem den Fehler gemacht, zu wenig präsent zu sein. Es sieht immer so aus, als ob sie abwartet, wie sich die Verhandler der Parteien einigen.

Wie geht es denn nun richtig?

Wenn man in Verhandlungen reingeht, dann muss man sie auch wollen. Dann darf es keinen verlängerten Wahlkampf unter dem Deckmantel der Sondierungen geben wie bei Jamaika. Sobald die Verhandlungen beginnen, braucht es eine starke Führung. Die Verhandler müssen eine klare Strategie haben. Man kann zum Beispiel mit verteilten Rollen spielen – einer ist der harte Hund, der andere für die Beziehungspflege zuständig. Die Verhandler brauchen einen Zeitplan, eine klare Themensetzung und eine komplette Nachrichtensperre. Letzteres ist bei Jamaika ja auch schiefgelaufen. Die Teams müssen klein sein. Und ebenfalls wichtig: Kritische Punkte müssen am Anfang angesprochen werden und nicht am Ende in einer ewig langen Nachtsitzung.

Sind nicht solche Nachtverhandlungen auch eine Möglichkeit, den Verhandlungspartner mürbe zu machen?

Diese Nachtverhandlungen sind sowas von altmodisch. Die sind nur dazu da, um den eigenen Leuten zu zeigen: Wir haben wirklich alles getan und bis zum Letzten verhandelt. Aber letztendlich darf es ja nicht darum gehen, wer am längsten wach bleiben kann, es muss darum gehen, die beste Lösung für Deutschland zu finden.

Sind Politiker vielleicht am Ende nicht so gute Verhandler wie Unternehmer?

Zumindest wird im Business professioneller verhandelt als bei diesen Koalitionsgesprächen. Über Monate nicht zum Ergebnis zu kommen, ist in der Wirtschaft nicht vorstellbar. Da geht es um Aktienkurse, um viel Geld. Für schwierige Verhandlungen werden auch gern Profis dazu geholt, die das Ganze leiten oder beratend zur Seite stehen. Am Ende macht einen guten Verhandler aber vor allem aus, dass er rational ist und nicht emotional, dass er pragmatisch an die Sache herangeht und nicht ideologisch.

Und was war dann ihre Strategie, um mit Geiselnehmern zu verhandeln?

Das sind oft Krisentäter. Man hilft denen bei der Lösung ihrer Krise, um sie da rauszuholen. Das ist auch der Unterschied zu Politikern: Die wollen vor allem glänzen.

Was würden Sie den Koalitionsverhandlern jetzt noch raten, wenn man Sie dazu holte?

Merkel muss mehr Führung zeigen, sich stärker einsetzen für die Regierung. Schulz würde ich raten, dass er junge, frische Leute für die Ministerposten ins Rennen schickt. Er will die SPD erneuern, das muss er auch zeigen. Schulz selbst darf auf keinen Fall Minister werden, sonst verliert er auch noch das letzte bisschen Glaubwürdigkeit.

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