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Bundestag startet in Schicksalsperiode: Julia Klöckner hat an Tag 1 bewiesen, dass sie der AfD Paroli bieten kann
Der 21. Bundestag hat sich konstituiert. Die Zweifel, ob seine neue Präsidentin die „größte AfD-Fraktion der Welt“ bändigen kann, bestätigen sich zumindest am ersten Tag nicht. Das macht Hoffnung.

Stand:
Allein die neue Sitzordnung hat den Abgeordneten des neuen Bundestags vor Augen geführt, was auf dem Spiel steht. Rechtsaußen nimmt nun sehr viel Raum ein im Plenum. Am Pult durfte Stephan Brandner, ziemlich schräg, „die größte AfD-Fraktion der Welt“ feiern.
Das Bewusstsein, dass den demokratischen Parteien eine vielleicht schicksalshafte Legislaturperiode bevorsteht, in der nur gute Resultate verhindern können, dass gegen die Ultrarechten nach der nächsten Wahl nicht mehr regiert werden kann, ist allgegenwärtig. Zu Recht fordert die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner „konsequente Reformen, auch in der Politik selbst“.
Nicht zuletzt bei SPD und Grünen sind Zweifel vorhanden, ob die Rheinland-Pfälzerin die Richtige ist, um der AfD Paroli zu bieten und sie in die Schranken zu weisen. Hat nicht Klöckner etwa in der Migrationspolitik selbst gelegentlich mindestens grenzwertige Formulierungen benutzt? Will sie die AfD sogar stärker einbeziehen, wo sie doch ein Kennenlerngespräch anbot, das dann angeblich aus Termingründen nicht stattfand?
Julia Klöckner hat den Reformbedarf erkannt
Mit einer unerwartet starken Rede kann sie den Eindruck zumindest an Amtstag 1 entkräften: Sie mahnt zu Anstand und Stil in der Auseinandersetzung – und kündigt eine strenge Aufsicht an. Weil die Art und Weise, wie im Bundestag gestritten wird, ihrer Meinung nach auf die Gesellschaft abfärbt. Damit deren jüngerer Teil überhaupt etwas vom Parlamentarismus mitbekommt, will sie den Bundestag insgesamt kommunikativer und moderner aufstellen.
Seine Chance nicht genutzt hat dagegen Alterspräsident Gregor Gysi. Was wurde im Vorfeld nicht alles geschrieben, weil der von vielen als fulminanter Redner geschätzte Linke erstmals ohne Redezeitbegrenzung würde sprechen dürfen!
Nur wenig aber blieb so hängen wie der Versöhnungsversuch, Verfechter militärischen Abschreckung nicht als „Kriegstreiber“ zu bezeichnen und Advokaten diplomatischer Lösungen nicht als „Putin-Freunde“, weil beide Frieden zum Ziel hätten. Sonst sprang Gysi ohne roten Faden von einem zum nächsten Thema.
Negativer Höhepunkt seines insgesamt schwachen Auftritts war die Forderung, der nächste Kanzler müsse die Ostdeutschen um Entschuldigung für die Demütigungen nach die Wiedervereinigung bitten. Das ging im Bestreben, den Ursachen des AfD-Erfolgs in den neuen Ländern beizukommen, eindeutig zu weit – auch wenn es rund um das Agieren etwa der Treuhand noch einiges aufzuarbeiten gilt.
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