Politik: „Sie haben den Kampf gewonnen“
Der Historiker Hubertus Knabe stellt sein Buch über das Schönreden der SED-Diktatur vor – und zieht eine bittere Bilanz
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Berlin - Für die einen ist er der unerschrockene Anwalt der Gepeinigten der zweiten deutschen Diktatur. Für die anderen ist er das Feindbild Nummer eins, der Veranstalter eines „Gruselkabinetts“ der Geschichtsbetrachtung. Zur Vorstellung seines Buches „Die Täter sind unter uns – Über das Schönreden der SED-Diktatur“ in der Thüringischen Landesvertretung sind offenbar ausnahmslos die Vertreter der erstgenannten Gruppe gekommen. Die Täter von damals, die erklärten Gegner von Hubertus Knabe, dem streitbaren Autor, Historiker und Direktor der Gedenkstätte im ehemaligen Stasigefängnis in Berlin-Hohenschönhausen, hatten es vorgezogen, fernzubleiben oder sich zumindest in erfahrener Weise verdeckt zu verhalten. Dies zumindest steht im Gegensatz zu ihrer jüngsten Strategie, die Deutungshoheit über das Wesen der DDR und über den Charakter der Stasi als „Schild und Schwert der Partei“ wieder an sich zu reißen. Genau jenes Verhalten habe ihn bewogen, dieses Buch zu schreiben, sagt Knabe mit Hinweis auf die gespenstische Veranstaltung vor einem Jahr in Lichtenberg, als die Stasigranden im Beisein des PDS-Kultursenators Flierl – damals Knabes Vorgesetzter – über die Rechtschaffenheit ihrer früheren Tätigkeit palaverten.
Knabes Buch ist eine Abrechnung mit den einstigen Tätern und ihren geschichtsrevisionistischen Selbsterklärungsversuchen. Es ist eine Analyse über das Fortleben eines Apparates, in dem sich tschekistische Taktik mit juristischem Sachverstand, Kommunismusgläubigkeit mit störrischer „Es war nicht alles schlecht“-Ahnungslosigkeit paaren. Einblicke in das Innenleben der „Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung“, der Leute wie Egon Krenz oder Mielke- Stellvertreter Wolfgang Schwanitz angehören, oder der „Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR“, die 24 000 Mitglieder hat, zeigen, dass diese Gruppen nicht nur Wärmestuben für Ehemalige sind. Vielmehr agieren sie als Kampfgemeinschaften gegen vermeintliche gesellschaftliche Ächtung und Agitationszentren in Sachen nachträglicher Reinwaschung. Die Opfer werden verhöhnt, die Haftanstalten als Orte mit Pool und Bibliothek geschildert, die Schüsse an der Mauer als Notwehrakte gerechtfertigt. Und: Sie erzwangen 15 000 Verfahren gegen Rentenbescheide und 15 Verfassungsbeschwerden gegen Rentenkappungen. „Sie haben den Kampf gewonnen“, resümiert Knabe bitter. Heute noch seien 700 Ex-Stasileute als Anwälte tätig.
Knabe geht noch weiter: Es artikuliert das Unbehagen gegenüber einem Rechtsstaat, der bei der juristischen Aufarbeitung des DDR-Unrechts versagt habe. Einen Grund dafür sieht Knabe im Einigungsvertrag: Er habe versäumt, Grundlagen für die Bestrafung der Täter zu formulieren. Die Festlegung, dass SED-Unrecht nach DDR-Recht bestraft werden müsse, hält Knabe für eine „Absurdität“.
Das Resümee ist ernüchternd: Trotz 42 000 politisch motivierter Straftaten allein nach dem Mauerbau seien nur 19 Täter ins Gefängnis gewandert. Sie alle sind mittlerweile wieder frei. Zwar sei ursprünglich gegen 100 000 Personen ermittelt worden. Doch nur in einem Prozent der Fälle sei es zur Anklage gekommen. Da werde zweierlei Recht angewendet, sagt Knabe: Die politischen Häftlinge wurden rehabilitiert, die für das Unrecht Verantwortlichen aber nicht bestraft. Und: Die Benachteiligungen bei den Opfern wirkten fort, während die Täter nicht zur Verantwortung gezogen würden. Mit Blick auf ihre soziale Lage und ihre mageren Renten würden heute viele der ehemaligen Oppositionellen sagen: Der Widerstand hat sich nicht gelohnt. Da steht hinten einer im Publikum auf und sagt: „Ich war auch in Haft und muss meine Rente zusammenhalten. Wichtiger aber ist mir, dass ich meinen Kindern und Enkeln entgegentreten kann, ohne rot zu werden.“
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