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Morde von Malatya: "Sie wollen uns Land und Glauben nehmen"

Die Gemeinde der Erlöserkirche im osttürkischen Malatya hat gerade einmal zwei Dutzend Mitglieder. Und doch werden die Christen in der 500.000- Einwohnerstadt von einigen Extremisten als Bedrohung empfunden.

Istanbul - "Sie wollen uns Land und Glauben nehmen" stand auf einem Zettel, den die Polizei bei den jungen Männern fand, die am Mittwoch den christlichen "Zirve"-Verlag in Malatya überfielen. Mit kurz zuvor gekauften Messern schnitten sie drei Menschen in den Räumen des Verlags die Kehlen durch, darunter war der Deutsche Tilman G. Am Tag nach dem Verbrechen suchte die Türkei nach Erklärungen - und die Christen in der Türkei fragten, wann sie im EU-Kandidatenland Türkei endlich sicher leben können.

Als Anführer der Angreifer identifizierte die Polizei in Malatya den 20-jährigen Emre Günaydin, der sich aus dem Fenster gestürzt hatte, nachdem die Polizei die "Zirve"-Räume gestürmt hatte. Nach Presseberichten waren die Beamten durch einen Anruf besorgter Angehöriger der Opfer alarmiert worden. Doch für die drei Männer, die an Stühle gefesselt und brutal ermordet worden waren, kam die Hilfe zu spät. Die Morde waren offensichtlich sorgfältig vorbereitet worden. Die Online-Ausgabe der Zeitung "Hürriyet" berichtete am Donnerstag, fünf Tatverdächtige hätten sich Anfang April unter die Gäste einer von der Erlöserkirche veranstalteten Osterfeier gemischt.

Türkische Regierung verurteilt die Morde

Türkische Regierungspolitiker sprachen von einem schlimmen Verbrechen und versprachen eine rasche Aufklärung der Tat. Doch spätestens seit dem Mord an dem armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink im Januar sind viele Türken skeptisch, ob die wahren Hintergründe solcher Gewalttaten jemals ans Tageslicht kommen werden. Im Fall Dink stellte sich heraus, dass die Polizei trotz mehrmaliger Hinweise auf ein geplantes Attentat keinen Personenschutz für das von Rechtsnationalisten bedrängte Opfer abstellte. Auch die Christen in Malatya seien durch Rechtsextremisten als Zielscheiben ausgerufen worden, sagte ein türkischer Priester. Doch auch in Malatya seien die Behörden untätig geblieben. Diese Verbrechen müssten sauber aufgearbeitet werden, damit etwas gegen die Umstände getan werden könnte, durch die sie überhaupt erst möglich würden, forderte der Kolumnist Mehmet Barlas.

Was die von Barlas angesprochenen Umstände angeht, gibt es in der Türkei mehr als genug Hinweise darauf, dass die Hetze gegen Christen und Missionare selbst in der Politik zum Alltag gehört. Von einer "Hexenjagd und einer Jagd auf Missionare" sprach der Vorsitzende der türkischen Erlöserkirche und Vorsitzende der Vereinigung protestantischer Kirchen in der Türkei, Ihsan Özbek. Beispiele dafür gibt es genug. Rahsan Ecevit, die Witwe des früheren Ministerpräsidenten Bülent Ecevit, warf den christlichen Missionaren erst vor etwa anderthalb Jahren vor, die Türkei teilen zu wollen. Ähnliche Warnungen kamen vom derzeitigen Religionsminister Mehmet Aydin, der in der Präsidentschaftsdiskussion hin und wieder als Kandidat für das höchste Staatsamt gehandelt wurde.

Müssen sich Christen besser schützen?

Staatsvertreter, Parteipolitiker und bestimmte Medien stellten die Christen in der Türkei als innere Feinde dar, beklagte der Geistliche Bedri Peker. Sein Kollege Özbek ging noch weiter und sagte, Christen würden als "Vaterlandsverräter, Separatisten und potenzielle Straftäter" hingestellt. Außenminister Abdullah Gül stellte verschärfte Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Christen in Aussicht, nannte aber keine konkreten Maßnahmen.

Ankara wird sich nicht nur Gedanken über einen besseren Schutz für die Christen, sondern auch über eine Antwort auf die absehbaren Warnungen und Vorwürfe aus der EU machen müssen. Die türkische Regierung solle an ihre Bürger appellieren, Menschen anderer Religionen und anderer ethnischer Herkunft zu akzeptieren, forderte der niederländische EU-Parlamentarier Joost Lagendijk, der derzeit die Türkei besucht. Europa werde den Dreifach-Mord von Malatya als Beweis dafür sehen, dass jeder Konvertit in der Türkei mit seinem Leben spiele, sagte Lagendijk. Das ist nicht eben eine Empfehlung für ein Land, das erst vor wenigen Tagen angekündigt hatte, es werde innerhalb von sieben Jahren fit für den EU-Beitritt sein. (tso/AFP)

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