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Politik: Soldaten? Was wird aus Deutschlands

Die Armee ist im Dauerstress. Sie wird ständig umstrukturiert und reformiert. Und soll gleichzeitig auch noch Krieg führen. Das hat Folgen – für Soldaten und Gesellschaft.

Von Michael Schmidt

Vor dem Berliner Bendlerblock, dem Sitz des Bundesverteidigungsministeriums, ragt ein Schild aus dem Gras: „Wir. Dienen. Deutschland“ steht darauf. Hinter dem Schild, nur ein paar Meter von dem Ort entfernt, an dem Claus Schenk Graf von Stauffenberg am Tag nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 erschossen wurde, steht ein Ehrenmal. Ein Ehrenmal für getötete Bundeswehrsoldaten. Es steht da noch nicht lange, die Einweihung fand im September 2009 statt. Der Stahlbetonquader, 32 Meter lang, acht Meter breit und zehn Metern hoch, ist der erste Versuch der Bundesrepublik Deutschland, eigener Opfer in Würde zu gedenken, ohne sich der Symbole vergangener Diktaturen zu bedienen. Die unausgesprochene, nicht minder wichtige Botschaft des Ehrenmals ist jedoch noch eine andere: Es gibt wieder Tote. Und es wird weitere geben. Jetzt und in Zukunft. Besser, die Deutschen stellen sich darauf ein.

Es gab einmal eine Zeit, da war die Bundeswehr eine eher behäbige Truppe, für die sich kaum jemand ernsthaft interessierte. Zwar 500 000 Mann stark, mit hunderten Kasernen fast überall präsent im Land und durch die Wehrpflicht in fast jeder Familie zu Hause, aber als politisches Instrument praktisch nicht wirklich zu gebrauchen. „Soldaten müssen kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen.“ Das war in den vier Nachkriegsjahrzehnten der großen Blockkonfrontation zwischen dem kapitalistischen Westen und dem staatskommunistischen Osten das Motto. Es ging um gegenseitige Abschreckung. Und die bundesdeutschen Streitkräfte dienten einem einzigen Zweck: der Landesverteidigung.

Heute ist das anders.

Nach der Wende kamen Bürger aus dem Osten Deutschlands hinzu, seither dienen Schwaben gemeinsam mit Thüringern, kämpfen Hessen Seite an Seite mit Sachsen. Die Truppe öffnete sich für Frauen in allen Laufbahnen. Das war 2001. Und mittlerweile dienen, vor Jahren noch undenkbar, auch im Ausland Geborene und Muslime in merklicher Zahl in der Bundeswehr. Sie tun das in einer über die Jahre mit jeder weiteren Reform, und derer gab es viele, dramatisch geschrumpften Bundeswehr. Die deutsche Armee ist im Dauerstress. Praktisch permanent wird umstrukturiert, werden Truppen verlegt. Ein Konzept jagt das nächste: neue Strategien, neue Leitideen, neue Schwerpunkte.

Zahlreiche Kasernen wurden geschlossen. Aus der Wehrpflichtigen- wurde eine Freiwilligen- und Berufsarmee. Gleichzeitig sieht sich die Bundeswehr einem immens aufgefächerten Gefahrenpotenzial gegenüber: Cyberwar, Terrorismus, Piraterie, Energiesicherheit, Klimawandel. Der quantitative Schwund der Armee geht einher mit einem erheblichen Bedeutungsgewinn des Militärs. Die Bundeswehr dient nicht mehr vorrangig der Landesverteidigung. Auf dem Balkan, in Afghanistan, seit diesem Sonntag an der türkisch-syrischen Grenze und demnächst auch im westafrikanischen Mali: Sie ist eine Interventionsarmee, die sich weltweit engagiert. Mit weitreichenden Folgen.

Mehr als 300 000 Soldaten waren seit den neunziger Jahren für die Bundeswehr im Ausland. Die Öffentlichkeit muss sich wieder an Worte gewöhnen, die aus dem aktiven Sprachschatz längst verschwunden waren. So gibt es wieder Veteranen. Es gibt wieder mit Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnete Soldaten. Es gibt wieder Gefallene – und das Ehrenmal. Dort kann man lernen, dass seit 1955, dem Gründungsjahr der Bundeswehr, mehr Soldaten im Dienst ums Leben kamen, als man meist denkt: bislang mehr als 3100.

Sie alle, Veteranen, Dekorierte, Getötete, haben Familie, Partner, Freunde. Der Krieg ist deshalb nicht mehr nur etwas, von dem der Opa einst erzählte – der Krieg ist langsam und beinahe unbemerkt in die Mitte der deutschen Gegenwartsgesellschaft gesickert. Im Zuge dessen hat sich auch das Bild vom Soldaten gewandelt. In den 90er Jahren kannte man ihn vor allem als Sandsack schleppenden Helfer in der Flutnot. Jetzt bestimmt der Hightech-Krieger im Staub am Hindukusch das Image der Truppe.

In einer immer kleineren Armee sollen die Soldaten immer mehr leisten. Mängel in ihrer Ausbildung und Fehler bei ihrer Arbeit können tödlich sein. Monatelange Abwesenheit von zu Hause ist der Regelfall. Die Planbarkeit des eigenen Berufswegs bleibt angesichts der einander jagenden Reformen auf der Strecke: Versetzungen stehen auf der Tagesordnung. Deutsche Soldaten schießen und werden beschossen, sie töten und werden getötet. Sie tun das im Auftrag des Parlaments, der Volksvertretung. Und zugleich im Wissen darum, dass eine Mehrheit der Deutschen ihre Einsätze ablehnt. Das macht vielen Streitkräfteangehörigen zu schaffen. Das Gefühl mangelnder Wertschätzung ihres lebensgefährlichen Tuns ist weit verbreitet unter den Soldaten. Das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zur Bundeswehr ist oft als „freundliches Desinteresse“ charakterisiert worden. Mancher aus Afghanistan Heimgekehrte aber hat Geschichten von öffentlichen Anfeindungen, Ablehnung, Rempeleien zu erzählen.

Wer sich für den Soldatenberuf entscheidet, muss das wissen, muss wissen, worauf er sich einlässt. Ihrerseits muss die Bundeswehr als Institution nach dem Wegfall der Wehrpflicht schauen, wie sie sich als Arbeitgeber verkauft, der nicht nur für Rambos und Schulabbrecher attraktiv ist, die in der freien Wirtschaft keine Stelle finden. Was müssen Soldaten heute können und wissen? Die Bundeswehr braucht fremdsprachenaffine junge Leute und hoch qualifizierte Spezialisten vor allem im rasant sich entwickelnden Technologiebereich. Sie verlangt eine hohe Bereitschaft zur Mobilität und muss zugleich dafür sorgen, dass sich Familie und Beruf in der Truppe besser vereinbaren lassen. Statt vieler Kurzzeitdiener, die kommen und gehen, so wie es in der Vergangenheit der Wehrpflichtarmee der Fall war, wird sie als Berufsarmee künftig auf Langzeitdiener setzen. Das macht die Streitkräfte nicht automatisch zum „Staat im Staate“. Aber es macht sie doch zu einer tendenziell geschlosseneren Formation als bisher, die weniger tief in der Gesellschaft verwurzelt ist.

„Heute Soldat der Bundesrepublik Deutschland zu sein, ist anders als in früheren Jahren“, sagte Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker im Mai 2012 in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. „Und dennoch gibt es Konstanten aus nunmehr sechzig Jahren Bundeswehr, ohne die wir als Armee nicht das wären, was wir sind. Zu diesen Konstanten zählt die Innere Führung“, sagte Wieker. „Sie ist geradezu die geistige Korsage der Bundeswehr.“

Die Innere Führung und das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform – das sind die Grundpfeiler jener Führungsphilosophie, die nach der Katastrophe des Nationalsozialismus das Selbstverständnis der neu gegründeten Bundeswehr auf eine weltweit einmalige Basis stellte: Der Impetus war eine deutliche Abgrenzung von den Vorgängerformationen Wehrmacht und Reichswehr. Die Bundeswehr sollte ausschließlich zur Verteidigung dienen. Der Soldat sollte mündig sein, sich ein eigenständiges Urteil bilden, Befehle prüfen und, wenn es sein Gewissen erfordert, auch verweigern.

Diese Führungsphilosophie war allerdings unter den Bedingungen des Kalten Krieges leichter formuliert als heute im Einsatz umgesetzt. Die Innere Führung müsse sich aber „gerade dort bewähren, wo uns der Gegner in hochkomplexen Szenarien und ohne Bindung an das humanitäre Völkerrecht asymmetrisch bekämpft“, sagte Wieker. Es klang eher nach einer Forderung als nach einer Beschreibung der Wirklichkeit, als er hinzufügte, sie müsse vor allem funktionieren, „wenn in der Zusammenarbeit mit anderen Nationen und Partnern, in fremden Kulturen und unter der Erfahrung von Leid, Aggressionen, Wut und in Anbetracht von Tod und Verwundung Soldaten aufs Äußerste körperlich und psychisch gefordert werden“. Wie beim internationalen Einsatz der Nato am Hindukusch, wo ein freundlich lächelnder afghanischer Bauer am Straßenrand ein freundlich lächelnder afghanischer Bauer am Straßenrand sein kann – oder aber ein Sprengstoffgürtel-bewehrter Selbstmordattentäter. Gerade im Rahmen einer solchen Mission gelte es, sich „zu besinnen, dass man nicht Soldatin oder Soldat eines beliebigen Landes ist, sondern als Soldat der Bundeswehr stets und überall unserer Werteordnung und dem deutschen Grundgesetz verpflichtet bleibt“. Ein hoher Anspruch.

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