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Politik: Spanien erlebt die schlimmsten fremdenfeindlichen Ausschreitungen seiner demokratischen Geschichte

Über Nacht erringt die Bauernstadt El Ejido, eine südspanische Kleinstadt an der Urlaubsküste Costa del Sol, traurige Berühmtheit - als Hort des Rassismus. Ein Ort, in dem die Bewohner ungestraft tagelang Tausende von Marokkanern und Farbigen mit Knüppeln durch die Gassen hetzen können.

Über Nacht erringt die Bauernstadt El Ejido, eine südspanische Kleinstadt an der Urlaubsküste Costa del Sol, traurige Berühmtheit - als Hort des Rassismus. Ein Ort, in dem die Bewohner ungestraft tagelang Tausende von Marokkanern und Farbigen mit Knüppeln durch die Gassen hetzen können. Unter den Augen der Polizei, die nicht eingreift. Spanien erlebt die schlimmsten fremdenfeindlichen Ausschreitungen seiner demokratischen Geschichte.

"Ich fuhr gerade mit einem Freund im Auto", erzählt Kaabir Sellaji, 24, "als uns ungefähr 30 Leute angriffen." Holzprügel und Eisenstangen krachen nieder. Auf die Karosserie und die Knochen der beiden jungen Nordafrikaner. Dann legten die Angreifer Feuer, das Auto ging unter dem Gejohle der Menge in Flammen auf. Kaabir und sein Freund konnten sich retten, aber ihre Aufenthaltsgenehmigung, dieses überlebenswichtige Stück Papier, verbrannte.

Die Bürger El Ejidos, bieder, konservativ, ländlich, haben den "Moros", wie die nordafrikanischen Einwanderer hier geschimpft werden, den Krieg erklärt. "Moros raus", "Geht nach Haus", "Wir töten Euch", rufen ihre Anführer. Das Volk applaudiert, zündet johlend die Häuser der Immigranten an. Wenn deren Bewohner schreiend herauslaufen, begrüßt sie ein Steinhagel. Baseballschläger sausen nieder auf Männer, Frauen, Kinder. Rund 50 Verletzte zählte die Polizei bislang.

Das Volk übt sich in Selbstjustiz. Die rund 10 000 Afrikaner sollen dafür büßen, dass ein junger Marokkaner auf dem Marktplatz eine junge Spanierin umbrachte. Dies war der Funken, der das Pulverfass hochgehen ließ. Zwei Wochen zuvor waren zwei Bauern in der Region ermordet worden - ebenfalls von einem Nordafrikaner. Seit Monaten überfallen fast täglich Vermummte Einwanderer - ähnlich wie in den USA der rechtsextremistische Ku-Klux-Klan. Die Polizei vermutet, dass die Täter unter den Bürgern der Stadt zu suchen sind.

Die schlimmen Vorfälle fallen ausgerechnet in den Wahlkampf. In fünf Wochen wird über die künftige Regierung in Spanien und in Andalusien abgestimmt. Der konservative Bürgermeister El Ejidos heizt mit platten Sprüchen gegen die "Welle von Einwanderern" die Stimmung an. Sein Parteichef, Spaniens Regierungschef José Maria Aznar, verurteilt zwar die Ausschreitungen, kündigt aber zugleich an, im Falle seines Wahlsieges das gerade gegen seinen Willen liberalisierte Ausländerrecht wieder zu verschärfen.

Ralph Schulze

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