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Kevin Kühnert, Generalsekretär der Bundes-SPD, beim Landesparteitags in Mecklenburg-Vorpommern.

© Jens Büttner/dpa

Wo ist Kevin Kühnert, wenn man ihn braucht?: SPD im Sinkflug – die Partei muss mehr Debatten anstoßen

Die SPD ist kein Dienstleistungsbetrieb für die Regierung. Generalsekretär Kühnert muss Themen und die „Mitte“ besetzen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es sind sozialdemokratische Zeiten, jedenfalls klingen alle großen Themen danach, und die große Frage der Zeit lautet: Wo ist die Sozialdemokratie? Antwort: in der Regierung. Was nicht banal ist, sondern schlicht ein Teil der Wahrheit. Das ist einer der Gründe für den Zustand, in dem sich die SPD befindet – im Sinkflug der Beliebtheit.

Die Partei, nach dem Ausgang der Wahl begeistert von sich selbst, hat wirklich geglaubt, um ihrer selbst gewählt worden zu sein. Mit Olaf Scholz gerufen worden zu sein. Dass es besonders die Umstände waren, buchstäblich das Wetter und eine Unionsstrategie, die keine war – das wird ausgeblendet. Das Ergebnis lässt sich in diesen Tagen und Wochen besichtigen.

Wenn nun der Kanzler einer wäre, dem die Herzen oder zumindest Achtung und Respekt nur so zuflögen, wenn Olaf Scholz gewissermaßen Helmut Schmidt der Zweite wäre, dann würde die Krise der organisierten Sozialdemokratie vielleicht noch überdeckt. Doch Scholz ist so unbeliebt, wie vor ihm kein Kanzler nach dieser kurzen Amtszeit je war. Selbst Friedrich Merz (CDU) hätten die Deutschen lieber an der Regierungsspitze.

Die Fraktion soll das reibungslose Regieren ermöglichen

Und das hat nicht allein etwas mit Scholz zu tun. Nein, es hat nicht unmaßgeblich mit einer Partei zu tun, die das Wort Partei, vom lateinischen pars, Teil des Ganzen, nicht ausreichend ernst nimmt. Die Partei versteht sich – wie die Fraktion im Parlament, bei der man das ja verstehen kann – als Dienstleistungsbetrieb für die Regierung. Sachwalter, Buchhalter. Aber wer wählt die?

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Dabei ist die Partei der Ort, der Hort politischer Selbstvergewisserung, Transmissionsriemen ihrer Themen in die Bevölkerung, um die zu überzeugen. Seht her, lautet das eigentliche Motto, das alles würden wir tun, wenn wir allein regieren könnten. In diesem Fall: SPD pur.

Regierungszeiten der SPD waren nie leichte

Das ist umso wichtiger, als die Regierungszeiten der SPD gewissermaßen traditionell keine einfachen sind. Die erste Wirtschaftskrise, die Ölkrise, der sogenannte Deutsche Herbst, die nächste Wirtschafts- und die Finanzkrise, Reformzwänge nach Helmut Kohl und Angela Merkel – dem haben die Sozialdemokraten dann Leistungen entgegengesetzt, die anstrengenden Diskussionen abgerungen wurden.

Sagen wir: Das Zuwanderungsgesetz, die verbesserte Situation gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, die Senkung des Eingangssteuersatzes, die Verteidigung des Gesundheitssystems, das Ganztagsschulprogramm, die Erneuerbaren Energien. Ja, auch die. Und das sind nur ein paar Beispiele.

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Es geht um den Ausweis der Fähigkeit, sich zusammenzusetzen, um sich konstruktiv auseinanderzusetzen. Streit, Meinungsstreit, ist nötig, nur nicht als Brüllerei. Aber Politik ist eben auch „kein Gesangverein Harmonie“, wie ein legendärer Generalsekretär wusste, allerdings von der CDU, Heiner Geißler. Wo ist Kevin Kühnert, wenn man ihn braucht?

Die Partei braucht ihn! Politikkonzepte entwickeln, Themen setzen für Debatten in jedem Ortsverein, Unterbezirk, jeder Arbeitsgemeinschaft, für offene Mitgliederversammlungen, für Arbeitsparteitage – die SPD braucht Antrieb, sich in einer Koalition, wie es sie noch nie gab, die Deutungshoheit für das, was „Mitte“ ist, zurückzuholen.

Wer Deutungshoheit über die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen besitzt, steht in der Mitte der Gesellschaft. Und steigt in ihrer Beliebtheit.

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