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ARCHIV - 23.06.2025, Berlin: Olaf Lies (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, beim Sommerfest der niedersächsischen Landesregierung. (zu dpa: «Lies: 3. Oktober steht für Freude über Wiedervereinigung») Foto: Jens Kalaene/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Jens Kalaene

SPD-Ministerpräsident Olaf Lies im Gespräch: „Wir müssen nicht grüner als die Grünen sein“

Donnerstag beraten Autoindustrie und Politik über die Zukunft der deutschen Branche. Olaf Lies, Ministerpräsident in der Heimat von VW, war für ein Verbrenner-Aus bis 2035. Nun hält er das Ziel für unrealistisch. Was hat den SPD-Politiker umgestimmt?

Stand:

Herr Lies, Sie haben lange das ab 2035 geplante EU-weite Verbot neuer Autos mit Verbrennungsmotoren befürwortet. Nun sagen Sie, das Ziel, nur E-Autos zu verkaufen, sei „leider unrealistisch“. Was war der Kipppunkt für Ihr Umschwenken?
Der Kipppunkt war die Erkenntnis, dass wir die Geschwindigkeit, die wir lange verfolgt haben, nicht erreichen. Das Ziel 2035 haben wir vor vielen Jahren festgelegt. Danach kam Corona, Russland begann den Krieg gegen die Ukraine, Energiepreise stiegen, Donald Trump verhängt heftige Zölle, China erhöht seine Subventionen – alles externe Faktoren. Wenn sich die Verhältnisse ändern, muss Politik umsteuern. Sie können die Realität nicht ausblenden. Dabei behalten wir das Ziel möglichst vieler batterieelektrischer Autos bei. Das Ziel bleibt, aber wir schaffen das nicht in dem Tempo, das wir vor vielen Jahre definiert haben.     

Sie kennen die Anliegen von Volkswagen und die Nöte der Auto-Branche, haben einen engen Draht zu Finanzminister Lars Klingbeil (SPD). Warum wollen Sie dennoch am Donnerstag am Auto-Gipfel teilnehmen?
Gerade die Auto-Länder spüren derzeit stark, unter welch extremen Druck die deutsche Industrie steht. Der Auto-Gipfel muss klar machen, dass das oberste Ziel die Sicherung der Arbeitsplätze ist. Diese Botschaft wird Niedersachsen beim Auto-Gipfel unterstreichen.  

Mit welcher Erwartung wollen Sie den Auto-Gipfel verlassen?
Wir brauchen eine gemeinsame klare Regelung. Diejenigen, die von der Rückkehr in die Verbrenner-Welt träumen, müssen wissen, dass es beim Weg in die E-Mobilität bleibt. Die anderen, die jede Technologieoption ab 2035 ablehnen, müssen einsehen, dass Optionen für eine Übergangszeit nötig sind. Wenn wir uns darauf einigen, wäre der Gipfel ein Erfolg.   

Sie sagen, Jobs müssen höchste Priorität haben. Was soll denn künftig weniger wichtiger werden?
Es geht nicht um weniger wichtige Dinge. Aber die Lage der Auto-Industrie ist wirklich ernst; denken Sie nur an Absatzflaute, Konkurrenz aus China und US-Importzölle. Der Erhalt der Arbeitsplätze muss unser allerwichtigstes Ziel werden. Denn für alles, was wir tun, brauchen wir in der Demokratie Mehrheiten. Wir haben immer gesagt: Die Transformation in Richtung Klimaneutralität muss einhergehen mit der Sicherung vorhandener und der Schaffung neuer Jobs. Wenn wir jetzt spüren, dass genau das nicht funktioniert, müssen wir nachjustieren. Als Ingenieur sage ich immer: Wir können nicht steuern, wir müssen regeln. Wenn wir das richtige Ziel – mehr Klimaschutz – nur erreichen zum Preis, gesellschaftliche Mehrheiten zu verlieren, ist keinem gedient. Dann kippt etwas in eine vollkommen falsche Richtung.

Der Eindruck, wir hätten uns vor allem um Bürgergeld-Empfänger gekümmert, war immer absurd. Aber wir müssen überlegen, wie es zu diesem Eindruck kam.

Olaf Lies

Sie rücken also vom Verbrenner-Aus ab, weil sonst die Demokratie den Bach runtergeht?
Nein. Wir müssen uns aber ehrlich folgende Frage beantworten: Können wir heute garantieren, dass es 2035 nur noch Elektro-Autos auf dem Markt geben wird? Nein. Deshalb brauchen wir auch ab 2035 Technologieoptionen. Nur zwei Beispiele: Wir brauchen den Range Extender, der also die Reichweite von E-Autos erhöht, und Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge, die Verbrenner- und Elektromotor besitzen. Diese Technologien müssen möglich sein, um sie auf den Markt zu bringen. Dann können wir unsere Klimaziele dennoch erreichen.    

Wie denn?
Wir werden es leider allein mit Batterie-Autos, also mit 0 Gramm CO₂-Emissionen, nicht schaffen. Indem wir die Beimischung von klimaneutralen Kraftstoffen erhöhen, schaffen wir uns Technologie-Optionen, die wir für den internationalen Markt ab 2035 ohnehin brauchen. Die Wirtschaft entscheidet, ob sie das nutzen will. Und wir geben den Pfad Richtung batteriegetriebene Autos nicht auf, indem wir sie fördern und die Lade-Infrastruktur ausbauen. Kaum ein Land in der Welt hat ambitioniertere Klimaziele als Deutschland.    

Ihr bayerischer Amtskollege Markus Söder (CSU) wettert gegen das Verbrenner-Aus, beschwört „Technologieoffenheit“. Sind sich die Auto-Länder überhaupt einig?
Die Verantwortlichen, die Hersteller, wie die Regierungen, sagen: Wir brauchen eine Perspektive für die Auto-Industrie und die riesige Zuliefer-Industrie. Schauen Sie, was bei Bosch, ZF, den Mittelständlern passiert. Allein bei Bosch sollen 13.000 Stellen wegfallen. Da können wir nicht sagen: Passt schon!

Löst Ihr Kurswechsel nicht Verunsicherung aus?
Nein, im Gegenteil, und zwar aus drei Gründen. Erstens: Wir brauchen und schaffen Planungssicherheit. Wir können nicht 2034 anfangen, über 2035 reden, sondern müssen es jetzt tun. Zweitens: Wir müssen klar definieren: Wo wollen wir hin? Wir wollen zur Batterie-elektrischen Mobilität, weil es die effizienteste Möglichkeit bezahlbarer Mobilität ist. Drittens: Die deutsche Auto-Industrie ist Teil eines weltweiten Marktes, und soll es bleiben. Diesen Markt müssen wir bedienen, dafür brauchen wir klare Optionen.

Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, dem Standort von Audi und BMW ist gegen ein Vebrenner-Aus.

© dpa/Peter Kneffel

Die Grünen, Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) und Teile Ihrer Partei sperren sich gegen Ihren Kurswechsel. Wird er Ihnen dennoch gelingen?
Was heißt „sperren“? Die formulieren ihre Sorge, dass wir die Klimaziele vernachlässigen könnten und ins Hintertreffen bei der E-Mobilität geraten. Davor zu warnen, das ist doch völlig in Ordnung. Ich war auch einmal Umweltminister. Ich gebe den Grünen in einem vollkommen Recht: Die Verbrenner sind nicht die Zukunft. 

Treibt Sie die Sorge um, dass Sie mit Ihrer Option Verbrenner nicht den technologischen Wandel behindern?
Das ist nicht das Ziel. Natürlich treiben mich in dieser extrem schwierigen wirtschaftlichen Situation viele Sorgen um, darunter diese Sorge. Ich spüre aber auch, wie viel gesellschaftliche Überzeugungsarbeit wir für die E-Mobilität noch leisten müssen – also neben Kauf-Anreizen, Netzausbau und günstigerem Ladestrom.  

Spüren Sie, wenn Sie mit Bürgern reden, dass das Thema Jobs heute wichtiger ist als vor fünf Jahren, das Thema Klima weniger wichtig?
Der Klimaschutz ist heute nicht weniger wichtig als vor fünf Jahren; der Handlungsdruck ist groß. Aber die Sorge vieler Menschen um die eigene Zukunft, die der Familie, um ihren Job und, ja, um ihre wirtschaftliche Existenz ist eindeutig größer geworden.

Gegen militärische Drohnen und großangelegte hybride Angriffe durch andere Staaten wie Russland werden wir mit polizeilicher Technik und Lösungen von 16 Ländern allein nicht ankommen.

Olaf Lies

Die deutsche Wirtschaft wächst 2025 wohl nur minimal, nach zwei Jahren Rezession. Wie kommt das Land wieder in Schwung?
Unsere Wirtschaft wächst auch deshalb nur so schwach, weil die Sorgen im Mittelstand groß sind, und die Industrie spürt, dass ihr Märkte wegbrechen. Wir sind in einer extrem schwierigen Lage. Um wieder Wachstum zu bekommen, müssen wir primär unsere so wichtigen Branchen Auto, Stahl, Chemie, Glas, Papier stabilisieren. Das wirkt sich dann auch positiv auf Mittelstand und Handwerk aus.

Hat die Bundesregierung das verstanden?
Ja. Sie hat früh erkannt, dass die Energiepreise sinken und die Bürokratie entschlackt werden muss. Das Investitions-Programm ist exzellent. Es gibt aber eben nicht nur das eine Rad, an dem ich drehe, und alles wird gut.  

Ist Friedrich Merz ein Auto-Kanzler?
Ich bin vor allem froh, dass Kanzler Merz und Vizekanzler Lars Klingbeil gut miteinander arbeiten, nicht gegeneinander. Beide verstehen unsere Sorgen. Merz und Klingbeil wissen, wie wichtig unsere Industrie, unsere Auto-Industrie ist.

Bundeskanzler Friedrich Merz am Steuer eines Elektro SUV von BMW.

© IMAGO/Wolfgang Maria Weber/imago

Es ist kälter und regnet. Haben Sie den „Herbst der Reformen“, wie Merz das formulierte, auch schon gespürt?
Wir Niedersachsen beteiligen uns an den diversen Reform-Kommissionen in Berlin. Die Arbeit läuft. Alle wissen, dass die Sozialsysteme reformiert werden und wir Menschen wieder schneller in Arbeit vermitteln müssen. Das geht aber nicht mit einem Fingerschnippen.

Aber die Defizite beim Bürgergeld sind doch allgemein bekannt …
… Die Höhe des Bürgergeldes ist durch ein Gerichtsurteil fixiert. Neben all denen, die unverschuldet nicht arbeiten können, gibt es einen Teil der Bürgergeld-Bezieher, der motiviert werden kann und motiviert werden muss, wieder Teil unserer Arbeitswelt zu sein. Wir brauchen diese Menschen übrigens dringend im Arbeitsmarkt!

Der Kanzler sagt, wir leben nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden. Die zahlreichen jüngst gesichteten Drohnen verunsichern. Braucht die Bundeswehr die Kompetenzen, Drohnen abzuschießen?
Russland führt einen hybriden Krieg gegen uns. Die Zahl der Cyber-Attacken auf Kommunen und Unternehmen hat enorm zugenommen. Nun kommt mit den Drohnen eine sichtbare Bedrohung hinzu. Wir leben in einer anderen Welt als vor 2022. Die klassische Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit ist richtig. Aber es gibt längst Situationen, wo die Bundeswehr im Innern tätig werden kann, etwa im Katastrophenschutz. Gegen militärische Drohnen und großangelegte hybride Angriffe durch andere Staaten wie Russland werden wir mit polizeilicher Technik und Lösungen von 16 Ländern allein nicht ankommen. Hier braucht es insgesamt ein zwischen Bund und Ländern gut abgestimmtes Konzept zur Drohnenabwehr.

Kaum ein Land in der Welt hat ambitioniertere Klimaziele als Deutschland.

Olaf Lies

Wir wollten Sie noch nach der SPD fragen.
Ja! Das ist gut!

In Umfragen liegt Ihre Partei bundesweit bei etwa 14 Prozent. Sie sind seit Mai Ministerpräsident, führen eine rot-grüne Regierung, und haben 2027 Wahl. Was ist Ihr Wahlziel?
Ich strebe eine rot-grüne Mehrheit in Niedersachsen an. Derzeit dominiert aber die Bundespolitik, die Landespolitik wird weniger wahrgenommen. Das wird sich vor der Landtagswahl 2027 ändern. Jetzt müssen 16 Länder erst einmal mit dem Bund Deutschland voranbringen. Für Wahlkampf ist dann noch genug Zeit.

Wie fasst die SPD wieder Fuß?
Die SPD muss zeigen, worauf sie sich mit ganzer Kraft konzentriert: Jobs, Jobs. Jobs. Die SPD will alles dafür tun, dass sich die Menschen nicht um ihre wirtschaftliche Existenz sorgen müssen. Wir müssen nicht grüner als die Grünen sein.

SPD-Chef Klingbeil beschwört die „arbeitende Mitte“ seit Jahren.
Zu Recht.  

Trotzdem haben Sie seit 2021 jeden zweiten Wähler verloren.
Die SPD muss klar sagen, für wen sie da ist, nämlich die hart arbeitende Mitte der Gesellschaft. Der Eindruck, wir hätten uns vor allem um Bürgergeld-Empfänger gekümmert, war immer absurd. Aber wir müssen überlegen, wie es zu diesem Eindruck kam. Vielleicht liegt es daran, dass wir schon so lange über das Bürgergeld diskutieren. Ich höre manchmal von Pflegekräften oder Industriearbeitern: „Ich gehe jeden Tag zur Arbeit, sogar nachts, sogar am Wochenende, im Schichtdienst. Redet Ihr auch mal von uns?“ Das zeigt mir, dass wir für diese Menschen mehr tun müssen – und darüber auch mehr sprechen müssen.

Bedauern Sie den Wechsel von Steffen Krach, Hannovers Regionspräsidenten, als SPD-Spitzenkandidat nach Berlin?
Natürlich bedauern wir es, wenn ein so erfolgreicher und beliebter Regionspräsident wie Steffen Krach uns verlassen wird. Aber es ist auch eine große Wertschätzung für die Niedersachsen-SPD, dass die Berliner SPD ihn zum Spitzenkandidaten nominiert hat. Nun drücken wir ihm fest die Daumen, dass er 2026 die sicher nicht einfache Wahl in Berlin gewinnen wird.

Hinterlässt Krach eine Lücke?
Wir haben jetzt mit Eva Bender eine herausragende Kandidatin für die Wahl zur Regionspräsidentin 2026.

Mit Krach wäre diese Wahl einfacher für die SPD, oder?
Das ist häufig ein stückweit so, dass es Amtsinhaber etwas leichter haben. Aber Eva Bender kennt unsere Stadt, unsere Region und sie ist auch bereits bei vielen Menschen bekannt und beliebt. Sie wird das schaffen.

In Ihrer Partei heißt es, das Verhältnis zwischen Ihnen und Krach sei ruckelig. Stimmt das?
Nein. Wir haben ein paar Sachthemen, bei denen Region und Land unterschiedliche Auffassungen haben. Das ist normal. Persönlich schätze ich Steffen Krach und seine Arbeit sehr. Er macht nun einen mutigen Schritt nach Berlin, und ich traue ihm zu, dass er Regierender Bürgermeister wird.

Wäre Krach ein guter Wirtschaftsminister in Niedersachsen gewesen?
Ja. Aber die Frage stellte sich bei unserer Neuaufstellung im Frühling nicht. Ich habe mit Grant Hendrik Tonne als Wirtschaftsminister eine andere Entscheidung getroffen. Diese Regierung braucht in ihren verbleibenden zwei Jahren eine Struktur mit Menschen, die das Regierungs- und Koalitionshandwerk in der bestehenden Konstellation bereits beherrschen.

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