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Sören Link (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Duisburg, fordert mehr Maßnahmen gegen Sozialleistungsmissbrauch auf Bundesebene.

© dpa/Christoph Reichwein

SPD-Oberbürgermeister über Sozialbetrug: „Viele sind findig, Maßnahmen des Jobcenters zu unterlaufen“

Sören Link ist Oberbürgermeister in Duisburg. Im Gespräch bewertet der SPD-Politiker die Bürgergeld-Pläne der Koalition. Was Armutsmigration in seiner Stadt auslöst – und er dagegen tut.

Stand:

Herr Link, Schwarz-Rot will beim Bürgergeld die Daumenschrauben in einer Art und Weise anziehen, die für die SPD vor der Bundestagswahl wohl inakzeptabel gewesen wäre. Was halten Sie von den Plänen?
Ich begrüße sie ausdrücklich, denn es wird künftig wieder einen Unterschied machen, ob jemand sich an die Regeln hält. Wer aus irgendwelchen Gründen nicht arbeitet, obwohl er könnte, den wird man wieder stärker zur Arbeit bewegen, im Zweifel durch schärfere Sanktionen. Das ist völlig richtig und überfällig. Der Grundsatz ist klar: Wir helfen denjenigen, die wollen, aber nicht können. Und wir motivieren diejenigen, die können, aber nicht wollen.

Wie erleben Sie diesen Unterschied in der Praxis?
Es gibt eine breite Mehrheit von Menschen, die würden gerne arbeiten. Sie zu motivieren, qualifizieren, für bessere Kinderbetreuung zu sorgen, ist richtig. Daneben gibt es aber viele Menschen, die sich in der Arbeitslosigkeit und dem Bürgergeld eingerichtet haben. Die sind wirklich findig und kreativ geworden, Arbeitsaufnahmen und Maßnahmen des Jobcenters zu unterlaufen. Manche arbeiten sogar noch schwarz nebenher. Das ist hier in Duisburg, aber auch überall anders in Deutschland ein Gerechtigkeitsthema.

Konkret plant die Koalition beim Regelsatz eine Sanktion von 30 Prozent ab dem zweiten versäumten Termin. Bleibt auch ein dritter Termin ungenutzt, werden die Geldleistungen komplett eingestellt. Zum nächsten Monat dann sogar auch die Kosten der Unterkunft. Lässt sich das in dieser Härte wirklich durchziehen?
Ich halte das für mehr als berechtigt und völlig vertretbar. Staatliche Hilfe ist kein bedingungsloses Grundeinkommen. Wenn jemand erkennbar nicht mitwirkt, dann muss man davon ausgehen, dass er nicht auf Leistungen der Solidargemeinschaft angewiesen ist. Es geht um Gerechtigkeit. Am Ende muss ich demjenigen, der das alles bezahlt, morgens aufsteht und im Zweifel für einen kleinen Lohn arbeitet, erklären, dass mit seinem Geld fair umgegangen wird.

Wir haben Arbeitnehmerfreizügigkeit, keine Freizügigkeit in die Sozialsysteme.

Sören Link, SPD

Kann die SPD wollen, dass Kinder auf der Straße landen, weil ihre Eltern sich nicht zum Jobcenter-Termin aufraffen?
Dieses Argument halte ich für vorgeschoben. Es gibt die Möglichkeit, sich telefonisch zu entschuldigen und um die Verschiebung eines Termins zu bitten. Wer dazu nicht bereit ist und überhaupt nicht kooperiert, der muss dann eben mit den Konsequenzen leben.

Ab dem ersten Geburtstag des Kindes soll es eine Beratungspflicht für Bürgergeldempfänger geben. Bisher sind sie bis zum dritten Geburtstag des Kindes nicht verpflichtet zu arbeiten. Dabei scheint es auch zu bleiben. Ist das fair, wenn gleichzeitig viele Menschen, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, sich auch nicht mehr als ein Jahr Elternzeit leisten können?
Die Einführung einer Beratungspflicht ab dem ersten Geburtstag halte ich für richtig. Damit kann man den Leuten früh eine Perspektive aus dem Bürgergeld eröffnen. Gegebenenfalls muss man da nochmal nachschärfen, wenn das nicht die erwünschten Effekte bringt. Gleichzeitig ist es weiter so, dass es an ganzen vielen Stellen in Deutschland nicht genügend Beratungs- und Betreuungsangebote für Kinder gibt. Dabei müssen wir das als Staat gewährleisten. Da ist noch viel Luft nach oben.

Bei dem Punkt bleibt das Papier eher vage, nämlich der Bekämpfung von Sozialleistungsmissbrauch. Gerade das ist bei Ihnen im Ruhrgebiet ein sehr relevantes Problem.
Es ist nicht nur ein Thema des Ruhrgebiets. Ich habe nach meiner Wiederwahl Gratulationen aus Süddeutschland bekommen, die beschreiben genau das Gleiche in einem kleineren Maßstab. Ob in Mannheim oder Bremerhaven: Es gibt bestimmt 30 Städte in Deutschland, da tritt dieses Phänomen auf. Überall dort, wo es bei Wohnraum viel Leerstand gibt.

Was sind das für Zustände, mit denen sie es vor Ort zu tun haben?
Es ist immer das gleiche Muster: Leerstehender Wohnraum wird aufgekauft und unsaniert vermietet. Bei uns vor allem an Menschen aus Rumänen und Bulgarien. Die beantragen mit der Anmeldung zumindest einmal Kindergeld und, falls sie einen Minijob aufgenommen haben, auch noch Sozialleistungen. Manche arbeiten schwarz nebenher. Nachbarn melden häufig massive Beeinträchtigungen. Das geht von ruhestörendem Lärm von Erwachsenen bis zu Kindern, die bis tief in die Nacht im Garten oder Treppenhaus spielen. Müllberge häufen sich auch. Das sind alles Dinge, die regelmäßig auftreten. Dem muss bundesgesetzlich endlich ein Riegel vorgeschoben werden.

Was muss die Bundesregierung ändern?
Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa ist gut, darin steckt aber eben auch der Begriff „Arbeitnehmer“. Es sollte so sein, dass Menschen innerhalb Europas nur dann in ein anderes Land auswandern können, wenn sie selbst in der Lage sind, sich und ihre Familie zu versorgen. Was wir nicht brauchen, ist Zuwanderung in die Sozialsysteme.

Ein konkretes Beispiel: Wenn ein Zugewanderter einen Minijob ausübt, reicht ein Einkommen von 150 Euro aus, um Sozialleistungen von weit über 2000 Euro zu beziehen – und zwar legal. Bei einer sechsköpfigen Familie sind es sogar 2700 Euro. Das führt dazu, dass Sozialleistungen missbräuchlich beantragt werden, und zwar von Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt nicht den Hauch einer Chance haben, sich selbst zu versorgen.

Das heißt, Sie wollen ausländischen Minijobbern keine Sozialleistungen mehr zahlen?
Es kann doch nicht sein, dass man bei einem 150-Euro-Job ein Vielfaches an sozialen Leistungen bekommen kann. Die Einkommensgrenzen müssen also deutlich angehoben werden. Es ist einfach ungerecht, dass Menschen zuwandern und staatliche Unterstützung erhalten, ohne auch nur einen Cent zu unserem Wohlstand beizutragen. Und wer er es innerhalb von sechs Monaten nicht schafft, sein Leben selbst zu finanzieren, der muss das Land wieder verlassen. Wir haben Arbeitnehmerfreizügigkeit, keine Freizügigkeit in die Sozialsysteme.

Was tun Sie auf lokaler Ebene?
Vor Ort haben wir sehr gute Erfahrungen mit Melderechtskontrollen gemacht. Zum Beispiel letztes Jahr im Weißen Riesen, einer großen Wohnsiedlung im Stadtteil Hochheide. Da haben wir ein Hochhaus, in dem mehr als tausend Menschen gemeldet waren, melderechtlich kontrolliert. Zusammen mit der Polizei, der Staatsanwaltschaft, dem Jobcenter und dem Ausländeramt haben wir die Meldedateien abgeglichen mit den tatsächlich vor Ort lebenden Menschen, um etwaige Lücken aufzudecken. Dazu haben wir Kindergeldzahlungen bei der Familienkasse überprüfen lassen.

Allein bei diesem einen Haus konnten wir dadurch einen Schaden von über einer Million Euro aufdecken und verhindern. Das läuft in Duisburg vorbildlich. Aber natürlich doktern wir nur an den Symptomen herum. Die Ursachen müssen in Berlin bekämpft werden.

Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) im Kommunalwahlkampf: Mit Link verbindet sie eine jahrzehntelange Freundschaft.

© dpa/Oliver Berg

Wie kommen Sie auf das Schadensvolumen?
Wir haben abgeglichen, welche Kinder dort gemeldet sind und welche tatsächlich dort leben. Die Zweifelsfälle haben wir der Kindergeldkasse zur Überprüfung mitgeteilt. Herausgekommen ist dann, dass es diese Kinder entweder nur auf dem Papier gegeben hat oder sie gemeinsam mit ihren Eltern Deutschland längst verlassen haben. Rechnet man hoch, wie viel Kindergeld bis zum 18. Geburtstag jeweils noch gezahlt worden wäre, kommt man auf die Million Euro.

Wie kann es denn sein, dass gar nicht auffällt, dass ein Kind nicht da ist?
Wir sind auch beim Thema Schulbescheinigungen aktiv und sehen uns mittlerweile gezwungen, fälschungssichere Schulbescheinigungen auszustellen. So kann man den Leistungsbezug einstellen, bevor es Ausmaße wie in Hochheide annimmt.

Finden Sie, dass man das Problem mittlerweile auch in der Bundespartei erkannt hat?
Bärbel Bas weiß genau, wie die Situation hier vor Ort ist. Auch Hendrik Wüst und Friedrich Merz haben sich klar dazu geäußert. Ich habe die Hoffnung, dass da ein Kurswechsel ansteht und vollzogen wird. Manche Themen sind schwerer zu lösen, etwa die Änderungen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das wird länger dauern. Aber die Einigung vom Koalitionsgipfel ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wo sich zeigt, dass es nicht reicht, wird nachgeliefert.

Kann sich dadurch auch etwas an der grundsätzlichen Ausrichtung der SPD ändern?
Der Schlüssel ist, dass sich die SPD darauf zurückbesinnt, dass sie die Partei der Arbeit ist. Diese Handschrift sehe ich in dem Koalitionspapier. Das ist genau der richtige Ansatz. Menschen, die diesen Staat finanzieren, müssen das Gefühl haben, dass es gerecht zugeht. Es ist gut, dass sich die SPD hinterfragt und das Profil mit dem Fokus genau darauf schärft. Dazu müssen wir den Menschen wieder zuhören und mit ihnen auf Augenhöhe und wertschätzend reden. Darin liegt eine riesige Chance für die SPD.

Lars Klingbeil, Bärbel Bas, Tim Klüssendorf und Co. betonen bei jeder Gelegenheit, die Partei wieder konsequent als Partei der Arbeit auszurichten. Stimmt der Kurs jetzt?
Es geht nicht alles von heute auf morgen. So eine Partei will auch mitgenommen werden, es bedarf innerparteilicher Diskussion. Aber das Ziel muss klar sein: Wir sind die Partei der Leistungsträger in dieser Gesellschaft. Darauf fokussieren wir uns jetzt.

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