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SPD verweigert AfD Fraktionssaal: Das Prinzip Sardinenbüchse als letzte Abwehrlinie
Der Bundestag ist kein Erbhof und seine Sitzungsräume sind es auch nicht. Die Entscheidung der SPD, den Otto-Wels-Saal nicht herauszurücken, ist deshalb falsch.

Stand:
Ein schmaler Gang führt vom großen Rund der Fraktionsebene im Bundestag zum Saal der SPD. In diesem Gang ist zu sehen, dass hier eine Fraktion mit stolzer Historie tagt. Denn an der Wand hängt eine Ahnengalerie der Fraktionsvorsitzenden, als würden sie wachen über die Parlamentarierinnen und Parlamentarier von heute.
Gut nachzuvollziehen, wie schmerzhaft es für die SPD gewesen wäre, diese Porträts abzuhängen, im Wissen, dass durch diesen, ihren Gang künftig die Abgeordneten der AfD zu ihren Plätzen schreiten.

© dpa/Kay Nietfeld
Und doch: Es wäre die richtige Entscheidung gewesen. In der Demokratie wird Macht immer nur auf Zeit verliehen. Der Bundestag ist kein Erbhof und seine Sitzungssäle sind es auch nicht.
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Der Streit um den Fraktionssaal ist ganz anders gelagert als die Auseinandersetzungen um Ausschussvorsitze, Parlamentarisches Kontrollgremium oder den Posten eines Bundestagsvizepräsidenten. Hier geht es nicht um reale Macht, Gefahren für das Land durch Geheimnisverrat oder die Frage, wer unsere Demokratie repräsentiert.
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Sondern es geht darum, ob man in der Auseinandersetzung mit der AfD tatsächlich beim Prinzip Sardinenbüchse als letzte Linie der Auseinandersetzung ankommen will. Es geht hier darum, ob man auf simpelster, praktischster Ebene die parlamentarische Arbeitsfähigkeit der AfD behindert.
Dreißig Schritte nach rechts oder fünfzig Schritte geradeaus
Dafür hat sich die SPD, gestützt von den anderen Fraktionen, entschieden. Der Vorgang passt nahtlos in die AfD-Erzählung von den bösen Kartellparteien. Und er wird gestützt von Argumenten, die der SPD als stolzer Fraktion mit Geschichte nicht würdig sind.
Etwa jenes, man wolle in direkter Nachbarschaft zum Koalitionspartner Union tagen. Als würde es praktisch irgendeine Rolle spielen, ob man vom eigenen Saal aus dreißig Schritte nach rechts oder fünfzig Schritte geradeaus laufen muss, um zur Union zu gelangen.
Auch, dass die SPD als Regierungsfraktion immer wieder Kabinettsmitglieder oder Ministeriumsbedienstete in ihrer Sitzung zu Gast hat, kann nicht ernsthaft ein Argument sein, wenn dafür bei der AfD schon die regulären Abgeordneten nicht in den Saal passen. Zumal diese Gäste bei der SPD nicht hordenweise zu erwarten sind.
Die Wahrheit ist so simpel wie für die SPD bitter: Bei der jüngsten Bundestagswahl haben sich die Mehrheitsverhältnisse deutlich verschoben. Die SPD hat einen großen Saal für deutlich weniger Abgeordnete, die AfD hat einen kleinen Saal für deutlich mehr Abgeordnete.
Es sind so viele, dass in dem früheren FDP-Saal, der der AfD zugewiesen wurde, für sie kein regulärer Sitzungsbetrieb machbar ist. Das ist nicht vertretbar, auch dann nicht, wenn es um die für die Demokratie hochgefährliche AfD geht.
Womit noch das Königsargument der SPD übrig bleibt: Das Streitobjekt sei und bleibe nun einmal der Otto-Wels-Saal, benannt nach einem Kämpfer gegen die Nationalsozialisten. So einen Saal könne man der AfD auf keinen Fall überlassen.
Allerdings: Auch wenn die SPD diesen Saal so nennt, ist das trotzdem nicht sein Name. Er trägt eine schnöde-kryptische Bundestagsraumnummer, die Namensgebung durch die SPD hat Traditionscharakter, ist aber letztlich inoffiziell.
Die SPD argumentiert mit der großen emotionalen Bedeutung, die der Saal für sie habe. Ihre Art aber, diese Emotionen zur Grundlage für praktische Entscheidungen zu machen, ist keine Hilfe, wenn es darum geht, die AfD zu stellen.
In welchem Saal auch immer die SPD tagt, es steht ihr frei, ihn nach Otto Wels zu benennen. Die AfD erhebt Anspruch auf den Raum, nicht auf dessen Namen.
Der richtige Weg für die SPD wäre gewesen, den Namen hocherhobenen Hauptes mitzunehmen. Das Vermächtnis Otto Wels’ sind keine Tische oder Sitzreihen. Es sind seine Taten und Gedanken.
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