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Die Kathedrale von Notre-Dame nach dem Löschen des Feuers.

© Christophe Petit Tesson / AFP

Spenden für beschädigte Kathedrale: Die Bettler von Notre-Dame

Der finanzielle Segen von Milliardären für den Wiederaufbau von Notre-Dame wirft Fragen auf. Denn: Wer gibt, kann auch wieder nehmen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Fabian Löhe

Es klingt nach christlicher Nächstenliebe: Die französischen Milliardärsfamilien Arnault, Bettencourt und Pinault entschließen sich umgehend nach dem Brand von Notre-Dame, den Wiederaufbau der Kathedrale finanziell zu unterstützen. Hunderte Millionen Euro wollen sie für den Wiederaufbau zahlen. Ihr größtes Kapital, so scheint es, ist ihr großes Herz. Und tatsächlich sind die Spenden eine gute Sache.

Doch es stellt sich ein Unwohlsein ein und Fragen wie diese: Warum geben die Familien, die so eng mit den Marken Louis Vuitton, L’Oréal und Gucci verbunden sind, ausgerechnet ihren finanziellen Segen für den Wiederaufbau einer Kirche? Gibt es nicht gravierendere Probleme als Steine? Was ist mit den Menschen? Was mit den sozialen Verwerfungen in den Pariser Vorstädten? Oder auch global: Was ist mit dem Klimawandel, der Armut, der mangelnden Chancengleichheit und der kritischen Gesundheitsversorgung?

Natürlich bleibt es Milliardären selbst überlassen, wohin er oder sie Geld investieren. Doch sie haben besondere Verantwortung. Ihre Entscheidungen verschieben den Fokus der Gesellschaft. In einer Demokratie aber sollten vor allem die Volksvertreter abwägen, wie welche Probleme gelöst werden. Ein wichtiges Mittel dafür ist genau jenes Steuergeld, das immer weniger der Konzerne zahlen, hinter denen Milliardäre stehen.

Es eröffnet dem Staat die Handlungsfreiheit im Diskurs um Fragen wie diese aufzuwerfen: Warum sind für das Nationalmuseum in Rio gerade einmal 225.000 Euro an Spenden eingegangen, obwohl dort ein Feuer 22 Millionen Artefakte vernichtete? Es mag gute Gründe für Notre-Dame und gegen Rio geben. Doch die Gönner entziehen sich der Debatte.

Alleine entscheiden, was förderungswürdig ist

Diskutiert werden sollte zudem, dass die Philanthropen ihren Geldsegen auch plötzlich wieder entziehen können. So geschehen beispielsweise beim Microsoft-Milliardär Bill Gates: 2005 erklärte er erst die staatlichen High-Schools in den USA für obsolet. Und investierte stattdessen zwei Milliarden Dollar in eigene, private Bildungseinrichtungen. Doch nur drei Jahre später stoppte er die Förderung abrupt. Einrichtungen für fast 800.000 Schüler mussten schließen. Gates’ Begründung: mangelnder Einfluss.

Quasi im Alleingang entschied Gates so wie es jetzt Arnault, Bettencourt und Pinault tun, was förderungswürdig ist, und was oder wann das für dieselbe Sache angeblich nicht mehr zutrifft. Die Grundlage dafür bilden ihre persönlichen Werte, die nicht mit denen der Allgemeinheit zusammenfallen müssen. Oftmals können sie es sogar gar nicht, weil das Geben von persönlichen Erfahrungen geprägt ist. Reiche aber machen völlig andere Erfahrungen als die Feinmechanikerin und der Mann hinter der Supermarktkasse.

Der Präsident der Ford Foundation, Darren Walker, hat diesen Umstand einmal als „Privilegienparadox“ bezeichnet: Die Gutbetuchten helfen mit ihren Spenden zwar der Gesellschaft, die Ungerechtigkeiten der Ungleichheit zu bekämpfen. Sie selbst aber erleben die Ungerechtigkeit der Ungleichheit nicht.

Wenn jedoch das gemeinsame Erleben fehlt, reduziert Großzügigkeit ihre Empfänger zu Bettlern. Gerade beim Wiederaufbau einer Kathedrale wie Notre-Dame wäre das besonders bitter.

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