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Rettungsprogramme treiben die Staatsschulden weltweit nach oben.

© IMAGO STOCK&PEOPLE

Staaten nehmen weltweit immer mehr Kredite auf: „Falsche Furcht vor Überschuldung ist ein Risiko“

Der Ökonom Christoph Trebesch über Gefahren in der Coronakrise - und über die Unterschiede zur Finanzkrise nach 2008.

Herr Trebesch, weltzweit nehmen die Staaten immer mehr Kredite auf, um die Folgen der Coronakrise zu bekämpfen. Es gibt Konjunkturprogramme, es werden Liquiditätshilfen beschlossen oder riesige Garantien für Unternehmen. Selbst die Europäische Union will hier nun mit einem massiven Programm einsteigen. Womit müssen wir rechnen, was die globale Verschuldung betrifft?

Es ist auf jeden Fall mit einem erheblichen Anstieg der globalen Verschuldung zu rechnen, der mindestens so stark sein wird wie nach der Finanzkrise von 2008. Da diesmal die Schuldenstände schon vor der Krise hoch waren und weil diese Krise auch tiefer und globaler ist, wird die Verschuldung weltweit neue Höchststände erreichen.

Einst galten Schuldenbestände von mehr als hundert Prozent des Bruttoinlandsprodukts ja als riskant…
Das Verhältnis des Schuldenstands der einzelnen Staaten zu ihrem Bruttoinlandsprodukt ist nicht mehr die wichtigste Größe, auf die man achten sollte. Weitaus wichtiger für die Frage der Schuldentragfähigkeit ist das Verhältnis von Zins und Wirtschaftswachstum sowie der zu erwartende Ausgabenbedarf. Man darf nicht vergessen: Wir leben in historisch einmaligen Zeiten mit Negativzinsen, in denen Regierungen nicht nur keine Zinsen mehr zahlen, sondern von Investoren auch noch Geld geschenkt bekommen dafür, dass sie Staatsanleihen kaufen dürfen.

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Und warum soll das nun klappen?
Man sieht in Japan, wo seit mehr als zwei Jahrzehnten praktisch eine Nullzinsphase herrscht, dass immense Staatsschulden durchaus zu stemmen sind. Meine amerikanische Kollegin Carmen Reinhart spricht bei solchen Episoden von „Schulden ohne Drama“. Wobei es eine Rolle spielt, wie stark die Verschuldung sozusagen im eigenen Land, in den eigenen Büchern bleibt. Eine hohe Zahl an inländischen Gläubigern wie in Japan kann von Vorteil sein. Denn es ist einfacher, eine hohe Schuldenlast zu managen, wenn die Gläubiger mit im Boot sitzen.

Wie ordnen Sie die Entwicklung der Zinsen im Langzeitverlauf ein?
Es hat in der Geschichte schon immer Phasen mit niedrigen Zinsen, auch mit negativen Realzinsen gegeben, etwa in den 1950er Jahren, als die Kriegsschulden abgebaut wurden. Die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit sehr hohen Zinsen sind eher eine Ausnahmezeit gewesen. Nun sind sie seit Jahrzehnten auf Talfahrt, und es spricht in dieser Krise derzeit wenig für eine große Zinswende.

Christoph Trebesch.
Christoph Trebesch.

© IfW

Wo liegen aus Ihrer Sicht die Risiken?
Ein größeres Risiko als die Zinshöhe ist, dass die Staaten aus Furcht vor einer Überschuldung zu wenig tun, also davor zurückschrecken, schuldenfinanzierte Rettungsmaßnahmen zu beschließen. Der Staat muss jetzt handeln, sonst könnten ganze Wirtschaftszweige kaputtgehen, mit schlimmen Folgen für die Arbeitsmärkte und gerade für die junge Generation, die in den nächsten zehn Jahren nach Jobs sucht.

Dennoch wird über eine Zinswende spekuliert…
Wenn es in den Industrieländern eine Zinswende geben sollte, dann am ehesten im südlichen Euroraum. Und zwar dann, wenn die Zweifel an der Schuldentragfähigkeit insbesondere Italiens stark zunehmen. Problematisch wird es, wenn ausländische Gläubiger dann ihr Geld abziehen. Dasselbe gilt aber auch für viele Schwellenländer.

Inwiefern?
Stärker als in anderen Krisen zuvor müssen wir heute auf die Situation in den Schwellenländern achten. Denn sie haben in den letzten 20 Jahren enorm an Gewicht gewonnen. Alle zusammen, inklusive China, machen mittlerweile etwa die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung aus. Wir schauen immer noch zu sehr auf die Entwicklung in den Industriestaaten. Was sich in anderen Teilen der Welt zusammenbraut, ist aber mindestens so bedeutend.

Noch ein Risikofaktor also?
Wir beobachten derzeit ein Einfrieren der internationalen Kapitalmärkte, und die Folgen davon sind typischerweise Krisen und Staatsbankrotte. In Argentinien, Ecuador und Libanon ist dies bereits der Fall. Länder, die weitgehend vom Tourismus leben, wie die Malediven, könnten ebenfalls Bankrott anmelden. Wir stehen vor einer neuen Welle an Schuldenkrisen. Beim Internationalen Währungsfonds haben immerhin schon etwa hundert Länder Rettungskredite beantragt. Die Mittel des IWF müssen daher wachsen, und man muss über Schuldenmoratorien reden. Viel wird damit zusammenhängen, ob in dieser Krise das multilaterale Handeln funktioniert oder ob es den Rückfall in nationale Alleingänge gibt wie in den dreißiger Jahren.

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Und was ist mit China und dessen stärkerer Rolle in der globalen Wirtschaft?
China ist wie Japan ein Land, das zu einem großen Teil sozusagen bei sich selbst verschuldet ist. Das kann ein Schutz vor einem großen Kreditknall sein, weil der Staat mehr Kontrolle über die eigenen Schulden ausüben kann. Das Problem für die Führung in Peking liegt derzeit nicht zuletzt im Ausland, weil Exportmärkte wegbrechen und sie Probleme bekommt mit Krediten, die sie anderen Staaten gegeben hat. Denn China hat in den vergangenen Jahren sehr umfangreich Geld an Entwicklungsländer verliehen, mit dem Ziel Rohstoffe, Absatzmärkte und Einfluss zu gewinnen. Jetzt könnte daraus ein Bumerangeffekt werden.

Christoph Trebesch ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Kiel und leitet die Abteilung für globale Finanzen am Institut für Weltwirtschaft. Er ist zudem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums.

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