
Politik: Staatsanwälte: Premier sofort vor Gericht
Justiz sieht klare Beweise für Amtsmissbrauch Berlusconis und Kontakte zu minderjährigen Prostituierten
Erpresserischer Amtsmissbrauch und Prostitution Minderjähriger. Das sind die Anklagepunkte, mit denen die Mailänder Staatsanwälte die unverzügliche Aufnahme eines Gerichtsverfahrens gegen Regierungschef Silvio Berlusconi verlangen. Über den am Mittwoch eingebrachten Antrag entscheidet nun eine Untersuchungsrichterin. Ein Bescheid soll laut Strafprozessordnung innerhalb von fünf Tagen ergehen; der Prozess könnte dann spätestens im Mai beginnen.
Die Staatsanwälte beschuldigen Berlusconi, im Mai vergangenen Jahres die 17-jährige Marokkanerin „Ruby“ aus dem Polizeigewahrsam freigepresst zu haben, „um andere Verbrechen zu verdecken“. Berlusconi, so die These der Anklagevertreter, habe mit seinen mehrfachen mitternächtlichen Anrufen im Mailänder Polizeipräsidium verhindern wollen, dass die minderjährige Prostituierte ausführlichen Verhören unterzogen wurde.
Berlusconi hatte damals offenbar Angst, die wegen Diebstahls festgenommene „Ruby“ könnte strafrechtlich relevante Details über jene wilden Partys ausplaudern, die sich in der Villa Berlusconis abspielten und bei denen sie – so sehen es die Staatsanwälte – mindestens achtmal zu Gast war. „Ruby“ hatte den Ermittlungen zufolge dafür etliche tausend Euro als Bezahlung und später womöglich auch mehr als vier Millionen Euro Schweigegeld erhalten; diese jedenfalls hatte sie ausweislich der Protokolle, die es von den abgehörten Telefongesprächen gibt, von Berlusconi verlangt.
Ob die Untersuchungsrichterin den sofortigen Prozess genehmigt, gilt als offen. Die Staatsanwälte ihrerseits behaupten, die Beweise gegen den Ministerpräsidenten seien klar und eindeutig; Berlusconis Verteidiger indes, die inhaltlich noch nichts entgegensetzen, wollen den Prozess aus formalen Gründen verhindern. Sie erklären, Berlusconi habe die von ihm nie bestrittenen Anrufe „in seiner Funktion als Regierungschef“ getätigt, und deshalb sei nicht die reguläre Mailänder Justiz, sondern das römische „Minister-Tribunal“ zuständig. Dieses Spezialgericht aber könnte einen Strafprozess nur mit Zustimmung des Parlaments führen; in diesem hat Berlusconi eine knappe Mehrheit.
Berlusconi selbst zeigte sich am Mittwoch entrüstet. Der „ekelhafte“ Antrag der Staatsanwälte sei eine „Farce“; er beruhe auf „absolut unbegründeten“ Vorwürfen, die „die Würde des Landes“ verletzten. Die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs nannte er „nicht existent, lächerlich“. Auf dem Polizeipräsidium habe er nicht in seiner Funktion, sondern nur in seiner Eigenschaft als Regierungschef angerufen, „um einen internationalen diplomatischen Unfall zu verhindern“. Damit spielte Berlusconi auf seine längst widerlegten Behauptungen von damals an, „Ruby“ sei eine Nichte des ägyptischen Staatschefs Mubarak.
Ob der neue Mailänder Prozess nun unmittelbar beginnt oder erst nach dem bei Italiens Gerichten üblichen monatelangen Vorspiel, das den Verteidigern allen möglichen Raum für Winkelzüge lässt, wird sich zeigen. Fest steht allerdings, dass sich Berlusconi demnächst drei weiteren Mailänder Prozessen stellen muss. Sie waren unterbrochen worden, weil sich der Regierungschef per Gesetz eine faktische Amtsimmunität zugelegt hatte. Das Verfassungsgericht hat dieses Gesetz im Januar genauso verworfen wie zwei frühere Anläufe Berlusconis in derselben Sache; somit ist der Weg frei für die Prozesse, die sich um Bestechung der Justiz, um Schwarzgeldkonten und Steuervergehen drehen.