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Eine Tasche mit der Aufschrift "Köln" steht vor einem Plakat mit der Aufschrift "Keupstraße ist überall", das vor dem Oberlandesgericht in München an Absperrgittern angebracht ist. Am 9. Juni 2004 explodierte in der Keupstraße in Köln eine vom NSU gezündete Nagelbombe.

© dpa

180. Tag im NSU-Prozess: Streit um Zulassung von Nebenklägern

Im NSU Prozess schwelt ein Konflikt: Haben Anwälte auf unlautere Weise versucht, nach dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße Mandanten für die Nebenklage zu werben?

Von Frank Jansen

Im NSU-Prozess wirft das Verhalten des Nebenklage-Anwalts Ferhat Tikbas Fragen auf. Der Jurist hatte beim Oberlandesgericht München für Bewohner der Kölner Keupstraße ohne deren schriftliche Zustimmung die Zulassung als Nebenkläger im Verfahren gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte beantragt. In der Keupstraße mit ihren vielen türkischen Geschäften und Bewohnern war am 9. Juni 2004 eine von der rechtsextremen Terrorzelle deponierte Nagelbombe explodiert. Mehr als 20 Menschen erlitten Verletzungen. Dennoch halten die Verteidiger Zschäpes und des mitangeklagten Ralf Wohlleben die beträchtliche Zahl von Nebenklägern aus der Keupstraße offenbar für zu hoch. Der  Fall Tikbas scheint da den Argwohn zu nähren.   

Die Verteidiger von Beate Zschäpe hält die Zahl der Nebenkläger für zu hoch

Am Donnerstag sagte im Prozess der in der Keupstraße wohnende Franz Peter S., vor Beginn der Hauptverhandlung habe Tikbas "uns nahegelegt, als Nebenkläger aufzutreten". Die Familie habe das besprochen und entschieden, "wir wollten das nicht". Dennoch ging beim OLG ein Antrag des Anwalts für die Zulassung der Nebenklage von Franz Peter S. ein. Mit Angaben, die der Zeuge jetzt vor Gericht bestritt.

Der Anwalt habe in dem Schreiben vorgetragen, der Zeuge sei nach dem Anschlag "posttraumatisch belastet", sagte der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats, Manfred Götzl, bei der Einvernahme von Franz Peter S. Dieser betonte jedoch, die Angaben des Anwalts stimmten nicht. Der Zeuge hatte seiner Erinnerung nach den Anschlag ohne körperliche und psychische Beschwerden überstanden. Sein BMW wurde allerdings getroffen, "das war ein wirtschaftlicher Totalschaden". Dennoch habe er dem Anwalt keine Vollmacht für eine Nebenklage erteilt, sagte Franz Peter S. Auch seine Schwiegermutter nicht, die ebenfalls in der Keupstraße lebt und für die der Anwalt auch einen Antrag für die Zulassung als Nebenkläger nach München geschickt hatte.

Nebenklage-Anwalts Ferhat Tikbas steht möglicherweise eine Befragung in eigener Sache bevor

Franz Peter S. war irritiert, als er vom Gericht die Nachricht erhielt, die Nebenklage sei zugelassen. Er habe den Anwalt angerufen. Der habe gesagt, er habe gehofft, doch noch die Vollmacht von Franz Peter S. zu bekommen. Laut Götzl wurde die Erklärung zur Teilnahme als Nebenkläger dann von Tikbas zurückgenommen. Der Richter, den die Episode sichtbar nervte, fragte den Zeugen "vorsorglich", ob er den Anwalt von der Schweigepflicht entbinde. Franz Peter S. antwortete lapidar, "ja, natürlich". Tikbas steht nun möglicherweise eine Befragung in eigener Sache bevor.

Der Anwalt aus Frankfurt am Main,  der im Prozess vier Nebenkläger vertritt, schilderte die Geschichte im Gespräch mit dem Tagesspiegel etwas anders. Franz Peter S. und seine Schwiegermutter hätten "definitiv" als Nebenkläger am Prozess teilnehmen wollen. Der Kölner habe auch von "Angstzuständen" nach dem Anschlag gesprochen. Tikbas betonte, er habe dann dem Gericht den Antrag auf Zulassung von Franz Peter S. als Nebenkläger geschickt – mit dem Hinweis, die Vollmacht werde nachgereicht. Ein Formular für eine Vollmacht habe Franz Peter S. von ihm bekommen, sagte der Anwalt. Doch  Franz Peter S. habe nicht unterschreiben wollen, da es sich um eine allgemeine Vollmacht handelte, also auch für andere rechtliche Schritte, zum Beispiel bei einer Insolvenz.

Offen bleibt jedoch, warum das Gericht die Nebenklage zuließ

Er habe, sagte Tikbas, dann ein Formular speziell für eine Nebenklage gemailt. Doch Franz Peter S. habe angerufen und gesagt, er habe es sich anders überlegt und wolle nicht als Nebenkläger auftreten. Tikbas informierte das Gericht, es zog die Zulassung zurück. Kurz zuvor habe Franz Peter S. allerdings schon Prozesstermine vom OLG benannt bekommen, sagte der Anwalt. Da habe sich etwas "überschnitten". Und er wies daraufhin, dass die Zahl der Nebenkläger für ihn finanziell keinen Unterschied macht. Das teilte das OLG am Donnerstag auf Anfrage ebenfalls mit. Offen bleibt jedoch, warum das Gericht die Nebenklage zuließ, ohne vom Anwalt eine schriftliche Vollmacht des Zeugen erhalten zu haben.

Der Fall Tikbas war am Donnerstag nicht der einzige, den die Verteidiger Zschäpes und Wohllebens kritisch beäugten. Bei einer Nebenklägerin aus dem Komplex Keupstraße wird sogar bezweifelt, dass die Frau und ihr Anwalt zu Recht Prozessteilnehmer sind. Sermin S. hatte vergangene Woche ausgesagt, sie habe hochschwanger den Bombenanschlag erlebt. Die Frau berichtete von anhaltenden Ängsten bis hin zu Panikattacken und nannte als wesentlichen Grund den Anschlag in der Keupstraße. Eine besonders schwere Attacke erlitt sie 2011, knapp sieben Jahre nach der Explosion in der Keupstraße, in einem Kino bei einem offenbar blutigen Film. Am Donnerstag sagte nun ein Psychotherapeut aus, der Sermin S. behandelt.

Die Aussage eines Psychotherapeuten war teilweise vage

Seine Angaben waren teilweise vage und er begann während der Einvernahme, seine eigene Diagnose des Zustands von Sermin S. – eine Panikstörung - in Frage zu stellen. Es könnte bei der Patientin auch eine posttraumatische Störung vorliegen, sagte er. Das sei für ihn „so eine Mischung“ mit den Panikattacken. Bei der Aussage wurde nicht klar, welchen Anteil die tragische Kindheit von Sermin S. an den psychischen Beschwerden hat.  Der alkoholkranke Vater ging weg, die Mutter starb an Krebs. Das Mädchen hatte früh Ängste.

Der Anwalt von Sermin S., Alexander Hoffmann, hielt nach der langwierigen Aussage den Verteidigern Zschäpes und Wohllebens vor, sie hätten mit ihren Fragen seine Mandantin der Lüge bezichtigt. Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer erwiderte, es gehe darum, festzustellen, ob Sermin S. noch als Nebenklägerin am Verfahren teilnehmen könne. Dazu wollen sich Heer und die zwei weiteren Verteidiger Zschäpes kommende Woche äußern. Der Konflikt mit einem Teil der Nebenklage-Anwälte könnte sich weiter aufheizen, zumal Hoffmann als besonders streitbarer Jurist bekannt ist.

Die Aussage einer Beamtin des Bundeskriminalamts ist ungünstig für Beate Zschäpe

Da ging am Donnerstag beinahe unter, dass Beate Zschäpe die potenziell ungünstige Aussage einer Beamtin des Bundeskriminalamts zu verkraften hatte. Die Polizistin hatte in Teilen eine DVD ausgewertet, die im Brandschutt des mutmaßlich von Zschäpe angezündeten Hauses in Zwickau gelegen hatte. In einer Datei findet sich eine bizarre Wette zwischen Zschäpe und dem NSU-Mörder Uwe Böhnhardt. Sollte Zschäpe nicht ihr Gewicht reduzieren, müsse sie 200 Videoclips schneiden. Das könnte ein Indiz für die Beteiligung Zschäpes an dem Bekennervideo des NSU sein. In dem Film präsentiert die hineinkopierte Zeichentrickfigur Paulchen Panther als eine Art Ansager des Schreckens die  Morde der Terrorzelle sowie die zwei  Anschläge in Köln, 2001 in der Probsteigasse auf ein iranisches Geschäft und 2004 in der Keupstraße. Nach der Aussage der Polizistin sprachen Nebenklage-Anwälte von einem "Meilenstein in der Indizienkette" gegen Zschäpe. Da der NSU keine weiteren Videos gemacht habe, sei der Hinweis auf das Schneiden von 200 Videoclips ein Beleg für Zschäpes Mittäterschaft bei dem Bekennervideo und damit auch bei den Verbrechen der Terrorzelle.  

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