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Tausende Menschen sammeln sich auf dem Tahrir-Platz.

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Update

Ägypten: Tausende feiern Revolutions-Jahrestag auf dem Tahrir-Platz

Anlässlich des Jahrestag der Revolution strömen tausende Ägypter zum Tahrir-Platz in Kairo. Heute soll der Ausnahmezustand aufgehoben werden.

Anlässlich der Feierlichkeiten zum ersten Jahrestag des Aufstands gegen die Herrschaft des früheren ägyptischen Staatschefs Husni Mubarak sind am Mittwochvormittag tausende Menschen zum Tahrir-Platz in Kairo geströmt. Islamisten, Liberale, Anhänger der Linken sowie viele weitere Bürger begaben sich zu dem symbolträchtigen Platz im Zentrum der Hauptstadt, um an den Beginn des Aufstands zu erinnern, in dessen Folge Mubarak am 11. Februar 2011 zurücktrat. Auf Spruchbändern standen „Feier zum ersten Geburtstag“ und „Sturz der Militärherrschaft“. Geplant sind Militärparaden und ein Feuerwerk. Die Feierlichkeiten finden unter strikten Sicherheitsvorkehrungen statt.

Am 25. Januar 2011 hatte es in Ägypten erste große Demonstrationen gegen Mubarak gegeben. Der Oberste Militärrat, der das Land seit dem Sturz Mubaraks regiert, will heute außerdem den seit über 20 Jahren geltenden Ausnahmezustand aufheben. Nach den Präsidentschaftswahlen, die bis Ende Juni stattfinden sollen, will das Militär die Macht dann abgeben. Am Montag war das neu gewählte Parlament zu seiner ersten Sitzung zusammengetreten.

Die Aufhebung der Notstandsgesetze, die willkürliche Festnahmen und Militärprozesse ermöglichen, war eine der Forderungen der Protestbewegung, die mit ihren Massenprotesten den langjährigen Staatschef Mubarak zu Fall brachte.

Ursprünglich hatte der Militärrat versprochen, die Gesetze vor den Parlamentswahlen abzuschaffen. Nach den Wahlen, die seit November in mehreren Etappen abgehalten worden waren, war am Montag das neue Parlament zu seiner ersten Sitzung zusammengekommen. Islamistische Parteien stellen zusammen fast drei Viertel der Abgeordneten.

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An das Grimmen im Magen erinnert sich Mohammed Magdi noch ganz genau. Gegen Mittag war er am 25. Januar zusammen mit einer Handvoll Gleichgesinnter im Stadtteil Shubra losgelaufen. Rund sechs Kilometer sind es bis zum Tahrir-Platz. Und auch ein Jahr später kann es der junge Herzspezialist, der mit zu den Internet-Organisatoren gehörte, immer noch nicht fassen. „Es war einfach unglaublich“. Genauso wie er und seine Freunde hatten sich an diesem ersten Protesttag in Ägypten Zehntausende aufgemacht, waren dem Aufruf auf der Facebook-Seite „Wir sind alle Khaled Saeed“ gefolgt. Aus allen Himmelsrichtungen strömten die Menschen am Nachmittag auf dem legendären Kreisverkehr am Nil zusammen.

Die Hundertschaften der Sonderpolizei empfingen sie mit Tränengas und Wasserwerfern, immer wieder stob die Menge panisch in alle Richtungen auseinander. „Lauft nicht weg, habt keine Angst, wir brauchen euch hier“, versuchte der 33-Jährige damals die Menschen zu beruhigen. Einigen gab der junge Arzt Taschentücher gegen das Gas, die er mitgebracht hatte. „Wir müssen hier bleiben, sonst war alles umsonst“, beschwor er die Umstehenden. Andere knieten auf dem Asphalt nieder und begannen zu beten.

Er war der dienstälteste Machthaber des Kontinents: Mubaraks erzwungener Abgang in den Tagesspiegel-Karikaturen.

Auch ein Jahr danach ist nichts von Mohammed Magdis Energie und Optimismus geschwunden. „Wir haben viel erreicht – Mubarak steht vor Gericht, ein demokratisches Parlament ist gewählt und das Volk politisch so wachsam, wie noch nie zuvor“, sagt er. Seine Wahlstimme hat der damalige Facebook-Revolutionär der Muslimbruderschaft gegeben, die sich am ersten Tag des Volksaufstands noch vom Tahrir-Platz fernhielt. Heute sind die Islamisten für ihn die besten Garanten gegen Korruption, Ungerechtigkeit und Günstlingswirtschaft.

Das sehen andere junge Aktivisten allerdings völlig anders. „Wir wollen nicht feiern, wir wollen unsere Revolution vollenden“, erklärten sie Anfang der Woche auf einer Pressekonferenz. 12.000 Menschen sind seit dem Sturz von Hosni Mubarak von Militärtribunalen verurteilt, nahezu 100 Demonstranten von Soldaten erschossen worden. „Human Rights Watch“ konstatierte kürzlich, seit dem Sturz von Hosni Mubarak habe es am Nil „keine Verbesserung bei den Menschenrechten“ gegeben.

Und so schauen die Revolutionäre mit Argwohn in die Zukunft. In ihren Augen bahnt sich eine neue Komplizenschaft der Mächtigen an zwischen Muslimbruderschaft und Armee, die den Generälen ihre bisherigen Privilegien garantieren könnte. 76 Organisationen und Gruppen kündigten deswegen an, am Mittwoch den Tahrirplatz erneut zu besetzen und so lange zu bleiben, bis die Generäle abgetreten sind.

Das Innenministerium dagegen konterte drohend, man werde gegen alle Störenfriede mit Knüppeln und Tränengas vorgehen. Zur Not hätten die Polizisten auch die Erlaubnis, scharf zu schießen - allerdings nur auf die Beine.

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Die Armee jedenfalls will sich am Mittwoch unangefochten präsentieren - als Garant der inneren Ordnung und Bollwerk gegen ausländische Verschwörungen. Feuerwerk, Militärparaden und von Hubschraubern abgeworfene Geschenkgutscheine sollen den neu gekürten Nationalfeiertag in ein großes Jubelfest verwandeln. Alle militärkritischen Graffitis in Kairo wurden übermalt.

Auch ein Panzerbild am Pfeiler einer Autobahnbrücke über den Nil, der unter seinen Ketten blutende Demonstranten zermalmt, steht jetzt wieder da in makellosem Weiß. Um die politische Volksseele weiter zu besänftigen, kündigte Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi am Dienstag im Staatsfernsehen an, das seit 1981 geltende, verhasste Ausnahmerecht in den nächsten 24 Stunden aufzuheben.

Einen Tag zuvor hatte der Militärrat bereits per Glückwunschtelegramm seine Autorität als Gesetzgeber an das neu gewählte Parlament abgetreten. Gleichzeitig erließen die Generäle eine Amnestie für 2000 Gefangene, darunter den koptischen Blogger Maikel Nabil, der im März wegen „Beleidigung der Armee“ zu zwei Jahren Haft verurteilt worden war und sich seit Wochen im Hungerstreik befand. Mitfeiern aber dürfen sie nicht. Die frisch Begnadigten können ihre Zellen erst am Tag danach, am 26. Januar, verlassen. Denn die Generäle fürchten, sonst könnten sie auf dem Tahrir-Platz als Helden gegen die Armeewillkür gefeiert werden. (mit AFP)

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