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Hendrik Streeck (CDU), Bundesbeauftragter für Sucht- und Drogenfragen.

© dpa/Michael Kappeler

Update

Teure Medikamente für 100-Jährige?: Streecks Aussagen zu sehr alten Menschen stoßen auf Zuspruch und scharfe Kritik

Sollen sehr alte Patienten noch teure Behandlungen erhalten? Der Drogenbeauftragte ist skeptisch. Die Ärztekammer begrüßt die Debatte, Patientenschützer und die Linke sind empört.

Stand:

Neue ethische Debatte: Der CDU-Gesundheitspolitiker und Drogenbeauftragte der Bundesregierung Hendrik Streeck hat die Frage aufgeworfen, ob man sehr alten Menschen noch besonders teure Medikamente verordnen sollte.

Es brauche in der medizinischen Selbstverwaltung „klarere und verbindliche Leitlinien, dass bestimmte Medikamente auch nicht immer ausprobiert werden sollten – es gibt einfach Phasen im Leben, wo man bestimmte Medikamente auch nicht mehr einfach so benutzen sollte“, sagte er in der Talksendung „Meinungsfreiheit“ des Senders Welt TV.

Streeck wies beispielhaft auf Erkrankungen wie fortgeschrittene Krebserkrankungen hin und den – offensichtlich theoretisch gemeinten – Fall, dass eine neue Studie über Möglichkeiten herauskomme, dabei die Sterblichkeit um zehn Prozent zu reduzieren. „Wenn man das aber bei einer 100-Jährigen macht, dann ist die Frage: Will man wirklich diese teuren Medikamente?“, sagte der Bundestagsabgeordnete, der als Virologe in der Corona-Zeit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden war.

Streeck berichtet auch von Erfahrungen aus Familie

Streeck berichtete auch von persönlichen Erfahrungen vor dem Tod seines an Lungenkrebs erkrankten Vaters. „Es wurde in den letzten Wochen, wo er gestorben ist, so viel Geld ausgegeben. Und es hat nichts gebracht. Es wurden die neuesten Therapien aufgefahren. Es hat nichts gebracht. Und er hat mehr dort ausgegeben als je in seinem ganzen Leben im Gesundheitswesen“, sagte er und resümierte: „Das ist einfach nur die Frage. Das gehört in die medizinische Selbstverwaltung.“

Wir müssen uns als Gesellschaft und Ärzteschaft immer wieder damit auseinandersetzen, was in der letzten Lebensphase medizinisch sinnvoll und zugleich menschlich angemessen ist.

Klaus Reinhardt, Präsident Bundesärztekammer

Die Bundesärztekammer begrüßte die von Streeck angestoßene Debatte. Therapieentscheidungen bei hochbetagten oder sterbenskranken Patientinnen und Patienten erforderten besondere ärztliche Verantwortung, sagte Präsident Klaus Reinhardt dem Tagesspiegel.

„Wir müssen uns als Gesellschaft und Ärzteschaft immer wieder damit auseinandersetzen, was in der letzten Lebensphase medizinisch sinnvoll und zugleich menschlich angemessen ist. Dabei dürfen ärztliche Therapieentscheidungen nicht vom Alter oder vom wirtschaftlichen Aufwand abhängen, sondern vom individuellen Patientenwillen, der Prognose und der Lebensqualität.“

In einem überregulierten Gesundheitssystem werde es Ärztinnen und Ärzten immer schwerer gemacht, partizipative, individuelle Entscheidungen gemeinsam mit ihren Patientinnen und Patienten zu treffen, sagte Reinhardt weiter. „Wenn am Ende eine Übertherapie steht, ist das zum Nachteil der betroffenen Patientinnen und Patienten wie auch des gesamten Gesundheitssystems.“

Linke nennt Streecks Gedankenspiele beschämend

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz wies den Vorstoß Streecks hingegen scharf zurück. „Jeder hat den gesetzlichen Anspruch auf eine bestmögliche Medikamentenversorgung. Ob das eine maximale oder palliative Therapie ist, hängt dabei sowohl vom Angebot als auch dem Willen des Patienten ab. Kosten und Alter dürfen keine Ausschlusskriterien sein“, sagte Vorstand Eugen Brysch, der Katholischen Nachrichten-Agentur in Berlin.

Anstatt sozialen Unfrieden zu stiften, solle sich der Beauftragte auf seine Kernaufgaben der Drogenbekämpfung konzentrieren, fügte Brysch hinzu.

Auf Ablehnung stieß Streecks Vorstoß auch beim früheren Gesundheitsminister Karl Lauterbach. „Altersrationierung teurer Medikamente ist ethisch unhaltbar und unnötig“, schrieb der SPD-Politiker auf X. „Wir verschwenden sehr viel Geld durch teure und schlechte Krankenhausversorgung, dort kann man viel sparen, wenn man Reformen nicht verwässert.“

Mit deutlicher Kritik reagierte auch Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen. „Rechtlich, medizinisch & ökonomisch ist das Unfug: Nicht das Alter entscheidet über Nutzen & Kosten einer Therapie, sondern die Nähe zum Lebensende – bei 60- wie bei 100-Jährigen“, schrieb Dahmen auf X. Wer trotzdem Altersgrenzen fordere, verkenne die Grundlagen moderner Medizin und des Grundgesetzes.

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Die Linkspartei reagierte ebenfalls empört. „Solche Gedankenspiele von einem CDU-Gesundheitspolitiker sind nur noch beschämend“, sagte der Vorsitzende der Linksfraktion, Sören Pellmann, der „Rheinischen Post“. „Diese Debatte zu eröffnen, sägt weiter am gesellschaftlichen Zusammenhalt. Streeck muss seinen Vorstoß mal ausbuchstabieren: Ab welchem Alter soll denn ein Leben aus seiner Sicht nicht mehr schützenswert sein – ab 85, 90, 95?“

Pellmann kritisierte, dass arme Menschen im Schnitt ohnehin deutlich früher als wohlhabende Menschen sterben. „Und jetzt sollen ihnen auch noch lebensverlängernde Therapien verweigert werden?“ Aus seiner Sicht wäre es sinnvoller, „die Preise neuer Arzneimittel zu begrenzen, die in den vergangenen Jahren weiter explodiert sind“.

Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung wird vom sogenannten Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt. Diesem Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen gehören Vertreter der Ärzte, Krankenkassen, Krankenhäuser und unparteiische Mitglieder an. Patientenvertreter haben ein Mitberatungs-, aber kein Stimmrecht. (lem/cz)

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