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Politik: Und keiner hilft

2005 verlor ein Punk bei einem Neonazi-Angriff in Zerbst ein Auge – jetzt wurde er wieder geprügelt

Von Frank Jansen

Zerbst/Berlin - Er war schon ein Opfer rechter Gewalt und hat bleibende Schäden erlitten, jetzt hat es ihn wieder getroffen. Der Punk Ricco R., dem Ende Juli 2005 in Zerbst ein Auge ausgeschlagen wurde, ist am Samstagabend nur wenige Kilometer entfernt erneut verprügelt worden. Der 17-Jährige habe bei dem Angriff in Zernitz-Strinum einen Zahn verloren und Rippenprellungen erlitten, hieß es am Sonntag in Sicherheitskreisen. Einige Muster der Tat vom vergangenen Sommer, die über Sachsen-Anhalt hinaus Empörung hervorrief, hätten sich offenbar wiederholt.

Genauso wie im Juli 2005 sei Ricco R. wieder auf einem Heimatfest attackiert worden, sagten Sicherheitsexperten dem Tagesspiegel. Das Motiv scheint ebenfalls identisch gewesen zu sein: Auch am Samstagabend soll Ricco R. ein T-Shirt mit einer Anti-Nazi-Aufschrift getragen haben. Es sei zu vermuten, dass er deshalb jetzt wieder von Rechtsextremisten attackiert wurde, verlautete aus Sicherheitskreisen. Nach Informationen des Tagesspiegels nahm die Polizei einen alkoholisierten Tatverdächtigen vorläufig fest. Doch die Staatsanwaltschaft entschied, ihn nach einer Blutentnahme freizulassen. Ob der Mann zuvor als Mitglied der rechten Szene aufgefallen war, blieb offen.

Ricco R. hatte sich am Samstag mit Freunden in Zernitz-Strinum getroffen. Bei dem Angriff von möglicherweise zwei Schlägern habe keiner dem Punk geholfen, berichteten Sicherheitsexperten. Im Dorf sei vielmehr zu hören gewesen, „der konnte wieder seine Fresse nicht halten“. Offenbar habe man in Zernitz-Strinum aufgrund der Medienberichte nach dem früheren Vorfall Ricco R. erkannt. Es sei nicht auszuschließen, dass der Punk auch aus Rache für das harte Urteil gegen den damaligen Täter angegriffen wurde, vermuten Sicherheitskreise.

Das Landgericht Dessau hatte im Februar den Schläger Nico K. zu acht Jahren Haft verurteilt. Er hatte zugegeben, Ricco R. wegen seines T-Shirts mit der Aufschrift „Gegen Nazis“ ein Bierglas ins Gesicht geschlagen zu haben. Eine Scherbe zerschnitt das rechte Auge. Die Zerbster Polizei ließ in der damaligen Tatnacht Nico K. nur Blut entnehmen, dann kam er frei – und schlug bei der Zugfahrt nach Hause einem Passagier ins Gesicht.

Nach der Gewalttat von Samstagabend wurde Ricco R. von Polizisten befragt. Sie entdeckten ihn in einem Feld, in dem er sich aus Angst vor weiteren Angriffen versteckt hatte. Später holte die Mutter von R. ihn ab, hieß es in Sicherheitskreisen.

Ricco R. und seine Familie hatten nach der Attacke von 2005 Zerbst verlassen, weil sie sich dort nicht sicher fühlten. Jetzt traute sich der Punk wieder, Freunde zu besuchen. Dass er erneut Gewalt erlitt, veranlasste Sicherheitskreise vor dem Hintergrund der Debatte über Brennpunkte rechter Gewalt zur Bemerkung, die Region Zerbst entwickle sich offenbar „zu einer no-go-area“.

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