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Ein ukrainischer Soldat an der Front.

© Reuters/Gleb Garanich

Überraschende Informationslücke: US-Geheimdienste wissen mehr über Putins Truppen als über die ukrainische Armee

Kiew hält sich offenbar gegenüber den Amerikanern über den Kriegsverlauf bedeckt, schreibt die „New York Times“. Das könnte zu Problemen führen.

Mit Waffen im Wert von vielen Milliarden Dollar unterstützt die USA die Verteidigung der Ukraine. Erst vergangene Woche hatte US-Präsident Biden bestätigt, das Himars-Raketensystem zu liefern, mit dem Geschosse mit einer Reichweite von mehreren Hundert Kilometern abgefeuert werden können.

Überraschend dabei nach mehr als 100 Tagen Krieg: Laut der New York Times haben die US-Geheimdienste nur wenige Informationen über die Kriegsstrategie und geplante Operationen der Ukraine. Über das russische Militär sei deutlich mehr bekannt: Man wisse von Plänen, Operationen, Erfolgen und Niederlagen in Russland, sagen Beamte der New York Times.

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Auch die Chefin der US-Geheimdienste, Avril D. Haines, sagte bereits vergangenen Monat vor dem Senat aus: „Wir haben wahrscheinlich mehr Informationen über die russische Seite als über die ukrainische.“

Die ukrainische Regierung habe Washington bislang nur wenige als geheim eingestufte Informationen über militärisches Vorgehen mitgeteilt. Auch Beamte aus der Ukraine gestehen ein, die USA nicht über alle Pläne zu informieren. Auf ukrainischer Seite gebe es die Sorge, dass russische Truppen die Informationen über militärische Strategien ausnutzen können.

Die US-Geheimdienste konzentrieren sich vorrangig auf feindliche Regierungen, Russland sei seit 75 Jahren eine Priorität der amerikanischen Spione. In der Ukraine hingegen habe man sich darauf konzentriert, die Nachrichtendienste aufzubauen und nicht die Regierung auszuspionieren.

Kurios ist eine andere Begründung: Auch schlechtes Wetter verhindere zum Beispiel die Fotoaufklärung mit Satelliten.

Waffenbedarf der Ukraine sei schwer einzuschätzen

Ihre Informationen über das geplante Vorgehen der Ukraine müssten sich die USA von anderen Staaten, von Ukrainern in amerikanischer Militär-Ausbildung und von Selenskyjs öffentlichen Äußerungen zusammensammeln, sagen US-Beamte der "NYT".

Die dabei entstehende Informationslücke könnte es der US-Regierung erschweren, gezielt über die nötige militärische Hilfe zu entscheiden, schreibt die Zeitung. Es sei „schwer zu sagen“ wie viele Waffen die Ukraine tatsächlich brauche, sagt Geheimdienstchefin Haines.

Laut Mitarbeitern aus dem US-Verteidigungsministerium gebe es jedoch ein zuverlässiges Vorgehen, um die richtigen Waffen an die richtigen Orte zu senden. Die Ukraine würde zunächst Waffen anfragen und die USA anschließend bewerten, welche Form der militärischen Hilfe gebraucht und tatsächlich zugesichert werden kann.

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Entscheidend für weitere Waffenlieferungen sei nun das strategische Vorgehen der Ukraine im Donbass. Wird Selenskyj seine Truppen dort zurückziehen oder riskiert er, dass sie von Russland eingekesselt werden? Beide Entscheidungen müsse die Ukraine gegenüber den USA rechtfertigen, sagt ein Experte gegenüber der "NYT".

In den vergangenen Tagen scheint sich die Kommunikationsstrategie der ukrainischen Regierung etwas geändert zu haben. In einem öffentlichen Statement nannte Selenskyj die Kämpfe extrem schwierig und äußerte sich zu den hohen Verlusten im ukrainischen Militär.

Diese Aussagen seien deshalb ungewöhnlich, weil der ukrainische Präsident US-Beamten zufolge gegenüber der Öffentlichkeit und seinen Partnern stark wirken wolle. Deshalb teile er selten Informationen, die für eine Niederlage der eigenen Truppen sprechen könnten. Unter ukrainischen Beamten werde befürchtet, dass westliche Partner ihre Waffenlieferungen dann kürzen könnten.

Trotz guter Gründe der Ukraine einige Informationen geheim halten zu wollen, warnt eine ehemalige Geheimdienst-Mitarbeiterin in der "NYT" vor den Informationslücken. Es werde zu wenig darüber geredet, ob die Ukraine überhaupt in der Lage sei, Russland zu besiegen. Die Geheimdienste könnten am Ende dafür verantwortlich gemacht werden, kein vollständiges Bild der Lage geliefert zu haben.

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