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Maria von Welser

© dpa

Bosnienkrieg: Vergewaltigung als Waffe - "Billiger als jede Munition"

Die Journalistin Maria von Welser reiste Anfang der 90er Jahre während des Bosnienkrieges in die Region und berichtete über Massenvergewaltigungen. Ein Gespräch über ihre Erlebnisse von damals und die Rolle des jetzt festgenommenen Serbenführers Radovan Karadzic.

Sie fuhren während des Bürgerkrieges nach Bosnien. Was haben Sie dort erlebt?

Das war im November 1992. Ich hatte in der "Abendzeitung" den Artikel der jungen Journalistin Alexandra Stiglmayer gelesen. Sie schrieb, dass in diesem beginnenden Krieg auf dem Balkan die Vergewaltigung von Frauen eine Kriegswaffe ist.

Ich konnte es nicht fassen. Sie war in den Lagern rund um Zagreb - nach Sarajewo kam man nicht mehr, das war schon total eingeschlossen. Daraufhin sind wir in diese Lager nach Zagreb gefahren, wo rund 700.000 Flüchtlinge - überwiegend Frauen, Kinder und Alte - lebten und haben die ersten Interviews geführt. Was die uns erzählt haben, hat uns alle fassungslos gemacht. Ich habe damals eine Sendung zu dem Thema gemacht und begann mit den Sätzen: "Guten Abend, meine Damen und Herren, es wird kein guter Abend werden."

Wir haben im O-Ton die Beweise gehabt, dass die Vergewaltigungen eine wirksame Kriegswaffe sind. Man hat uns gesagt, das sei billiger als jede Munition, als Benzin für die Panzer, als Schrappnells und Raketen. Familien würden dauerhaft zerstört, weil die Vergewaltigung ganz bewusst vor den Ehepartnern und den Kindern erfolgte. Das ist eine Art der Grausamkeit, die ich mir nicht vorstellen konnte.

Sie haben in den Lagern mit den Frauen gesprochen, denen das passiert ist?

Ja, ich habe viele dieser Frauen jahrelang begleitet. Wir haben aufgrund dieser Sendung Spenden in Höhe von 1,8 Millionen DM erhalten, obwohl wir gar nicht dazu aufgerufen haben. Das Geld haben wir in einen Hilfsfonds gesteckt und es kam zu 100 Prozent den Frauen in Bosnien und vor allem in den Zentren, die Monika Hauser (Frauenärztin und Gründerin des Frauenhilfsprojekts "Medica", Anm. d. Red.) später in Tuzla und Zenica aufgebaut haben, zugute. Wir mussten ihnen erst einmal ein Dach über dem Kopf geben, sie psychologisch betreuen, ihnen eine Zukunftschance eröffnen.

Radovan Karadzic wird für viele dieser Taten verantwortlich gemacht. Inwiefern waren die Vergewaltigungen angeordnet?

Später haben Soldaten der serbischen Armee bestätigt, dass in ihren Reihen klar war, dass Vergewaltigungen absolut angemessen sind. Ich habe damals ein Buch geschrieben, "Am Ende wünschst du Dir nur noch den Tod", habe das Thema noch weiter recherchiert und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass diese berühmte Dampfkesseltheorie, der zufolge Männer im Krieg vergewaltigen müssen, weil die Hormone sie so drücken, nicht stimmt.

Vergewaltigung hat in diesem Fall und auch bei den anderen Kriegen, die danach folgten, ob das Ruanda ist oder jetzt im Sudan, ausschließlich mit Macht zu tun. Mit der Machtausübung auch den anderen, männlichen Soldaten gegenüber. Die Botschaft ist: Du hast keine Macht über deine Kinder, über deine Frauen - auch die nehmen wir ein.

Kann man so weit gehen, das als Pflichtausübung eines Soldaten zu sehen?

Männer haben mir erzählt, es gäbe so einen Gruppenzwang. Sie können da nicht raus. Wenn eine Gruppe Soldaten anfängt zu vergewaltigen, dann kann sich ein Einzelner nicht ausschließen.

Die Vergewaltigungslager, von denen erzählt wird, gab es also in der Tat?

Die gab es tatsächlich. Es gibt auch Filmaufnahmen davon. Wir sind dort nicht hingekommen, aber wir haben mit den Frauen geredet und auch mit Soldaten, die darüber berichtet haben.

Radovan Karadzic behauptet, er wisse von nichts.

Es gibt Beweise. Es gibt die so genannte Mazowiecki-Kommission - Tadeusz Mazowiecki ist der ehemalige polnische Ministerpräsident, der sich nach seiner Amtszeit im Auftrag der UN aufgemacht hat, um Untersuchungen in Bosnien anzustellen. Die sind zu dem Ergebnis gekommen, dass 50.000 Frauen im Zuge des Krieges vergewaltigt wurden - im Auftrag der Armee-Befehlshaber. Der Mazowiecki-Bericht ist später dem Gericht in Den Haag vorgelegt worden.

Der "Fall Karadzic" wird nun wohl endlich aufgearbeitet werden...

Ich war sehr froh, dass Karadzic verhaftet wurde. Jetzt fehlt noch Ratko Mladic, dann sind die ganz großen Kriegstreiber hinter Gittern. Ich war sehr oft in Sarajewo während des Krieges und habe erlebt, wie die Menschen dort auf den Straßen der total eingeschlossenen Stadt zusammengeschossen wurden von Heckenschützen der Serben. Es kam nichts durch, keine Lebensmittel, kein Holz, kein Wasser. Nur die Luftbrücke der Nato versorgte drei Jahre die rund 300.000 Menschen mit dem Nötigsten.

Karadzic hat sich als Mediziner getarnt, mit weißem Bart und Brille.

Ich habe immer gesagt, dass man in Serbien, in der Regierungsebene weiß, wo er ist. Dass er erst jetzt verhaftet wurde, hat aber sicher auch mit dem Wechsel des Chefanklägers in Den Haag zu tun. Frau Del Ponte hat man in dieser Männergesellschaft nicht so ernst genommen, den Mann nimmt man wohl jetzt ernster. Außerdem wollen die Serben in Europa anerkannt werden. Deshalb haben sie ihn jetzt verhaftet.

Maria von Welser (geb. 26. Juni 1946) entwickelte und moderierte das Frauenjournal Mona Lisa und war Leiterin des ZDF-Auslandsstudios in London. Heute ist die Fernsehjournalistin stellvertretende Vorsitzende von Unicef Deutschland und Direktorin des NDR-Landesfunkhauses Hamburg. Ihr Buch "Am Ende wünschst du dir nur noch den Tod" erschien 1993 beim Knaur-Verlag.

Ein Interview von Marie Preuß

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