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Der russische Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“.

© dpa/picture alliance

„Vermisst im Kampf“ oder doch „Unglück“?: Angehörige von „Moskwa“-Besatzung beklagen widersprüchliche Informationen

Russland äußert sich seit Wochen nicht mehr öffentlich zum Untergang des Kriegsschiffs. Doch Familien von vermissten Soldaten wollen endlich Gewissheit.

Familien von vermissten Besatzungsmitgliedern des gesunkenen russischen Raketenkreuzers „Moskwa“ klagen über unzureichende und widersprüchliche Informationen über den Verbleib ihrer Angehörigen. Das berichtet der „Spiegel“.

Das wichtigste russische Kriegsschiff war Mitte April vor der ukrainischen Küste im Schwarzen Meer gesunken. Die Ukraine will die „Moskwa“ mit Raketen zerstört haben, ausländische Geheimdienste bestätigen das. Geholfen haben soll dabei auch der US-Geheimdienst.

Russland behauptet noch immer offiziell, dass es ein Unglück auf dem Schiff gegeben habe. Munition soll nach Darstellung der russischen Verteidigungsministeriums explodiert sein. Das beschädigte Schiff sei dann bei stürmischen Bedingungen gesunken. Meteorologen sehen allerdings keine Anzeichen dafür, dass es am 13. und 14. April stark gewindet haben soll.

Das Verteidigungsministerium sprach davon, dass 396 Soldaten gerettet werden konnten. 27 galten als vermisst und ein Besatzungsmitglied sollte gestorben sein. Russische Medien hingegen berichteten, dass mehr als 500 Männer an Bord gewesen seien, als es zur Explosion kam. Es soll viele Tote gegeben haben.

Das Ministerium äußert sich seitdem nicht mehr öffentlich zu dem Vorfall. Und auch die Familien der vermissten Soldaten auf dem Schiff erhalten diffuse Informationen – wenn überhaupt. Eine Mutter berichtet dem „Spiegel“, dass ihr 20-jähriger Sohn auf dem Schiff seinen Wehrdienst leistete. Seit dem 13. April hat er kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben.

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Seit dem Vorfall hätten ihr offizielle Stellen mal gesagt, dass es eine große Rettungsaktion gebe, mal, dass ihr Sohn nicht auf der Liste der Vermissten stehe und „im Dienst“ sei.

Nach zehn Tagen sei sie mit anderen Angehörigen von Vermissten zu einem Gespräch in Sewastopol auf der ukrainischen Halbinsel Krim gebeten worden, an dem Kommandeure, Vertreter der Militärstaatsanwaltschaft, Stadtverwaltung und Psychologen teilnahmen. Die Gespräche sollen jeweils einzeln stattgefunden haben. Der Eindruck der Mutter: Die Offiziellen wollten Druck machen, offenbar erregten die Angehörigen zu viel Aufmerksamkeit.

Ein Kommandeur sagte ihr dem „Spiegel“-Bericht zufolge kurz nach dem Gespräch, dass ihr Sohn weiterhin als vermisst gelte. Dass das Ministerium der Mutter gesagt hatte, ihr Sohn sei noch „im Dienst“, konnte er sich nicht erklären. „Das kann nicht sein. Das ist eine Falschnachricht“, soll er gesagt haben. Er soll einer der Kommandeure sein, die dem britischen Geheimdienst zufolge Mitte Mai entlassen wurden.

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Die Besatzungsmitglieder, die den Vorfall überlebten, sollen gezwungen worden sein, Verschwiegenheitserklärungen zu unterzeichnen. Das bestätigten offenbar auch andere Verwandte dem „Spiegel“. Die Mutter tauscht sich mit vielen Leidensgenossinnen und Leidensgenossen aus. Viele sind Eltern von Wehrdienstleistenden. Dabei hatte Russlands Präsident Wladimir Putin erklärt, dass beim Militäreinsatz in der Ukraine keine solchen eingesetzt werden sollten.

Das Verteidigungsministerium räumte zwar im März ein, dass doch Wehrdienstleistende eingesetzt würden. Aber nur, um wenig später mitzuteilen, dass ihr Einsatz nun beendet sei und sie nach Russland zurückgekehrt wären. Das stimmte offensichtlich nicht.

Der Mutter zufolge sei ihr vom Militär nach dem Gespräch in Sewastopol mitgeteilt worden, dass man bei Tauch- und Sucharbeiten am Schiffwrack der „Moskwa“ keine Soldaten gefunden habe. Ein Gericht soll nun den Tod der Vermissten feststellen – ein offenbar gängiges Prozedere, wenn der Leichnam nicht gefunden wird. Allerdings kann das Gericht diesen Schritt erst zwei Jahre nach dem jeweiligen Vorfall vollziehen.

Russland spricht von „vermisst im Kampf“ und „Unglück“

Die Mutter weigerte sich dem „Spiegel“-Bericht zufolge, ihr schriftliches Einverständnis zu geben, damit das Prozedere in die Wege geleitet werden kann. Damit würde sie auf Kompensationszahlungen in Höhe von sieben Millionen Rubel (mehr als 100.000 Euro) plus mehreren Hundert Euro monatlich verzichten, die ihr in Aussicht gestellt wurden.

Sie befürchtet, dass sie erst recht keine Antworten auf den Verbleib ihres Sohnes erhalten wird, wenn sie ihr Einverständnis gegeben hat. Sie will zuerst eine schriftliche Bestätigung des russischen Militärs, dass ihr Sohn an einem Kampfeinsatz teilgenommen hat.

Denn, was die Mutter verwundert: Auf der einen Seite werde ihr Sohn von Kommandeuren als „Held“ und „vermisst im Kampf“ bezeichnet – wohingegen auf dem offiziellen Dokument nur von einem „Unglück“ die Rede ist. (Tsp, dpa)

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