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„Whatever it takes“: Union und SPD wollen Schuldenbremse lockern und 500-Milliarden-Sondervermögen
Bei den Sondierungen haben sich Union und SPD auf eine Finanzierung zur Stärkung von Verteidigung, Wirtschaft und Infrastruktur geeinigt. Merz begründet das mit der „weiter zunehmenden Bedrohungslage“.
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Noch vor Bildung einer Regierung haben Union und SPD eine beispiellose Finanzierung zur Stärkung von Verteidigung, Wirtschaft und Infrastruktur angekündigt: Union und SPD wollen Milliardenkredite für Verteidigung und Infrastruktur ermöglichen. Für die Instandsetzung der Infrastruktur soll ein Sondervermögen mit 500 Milliarden Euro geschaffen, für bestimmte Investitionen in die Verteidigung soll die Schuldenbremse gelockert werden, wie die Parteien mitteilten.
Die Parteispitzen hätten sich im Laufe der Sondierungsgespräche angesichts der „weiter zunehmenden Bedrohungslage“ darauf geeinigt, an der Schuldenbremse zu rütteln. Dafür wollen die Fraktionen einen Antrag auf eine Änderung des Grundgesetzes in den Bundestag einbringen. Man sei sich einig, „sehr große Anstrengungen unternehmen“ zu müssen, um die Verteidigung des Kontinents zu gewährleisten, sagte Merz.
Der Bundestag soll nach Vorstellung der Union und SPD in seiner alten Zusammensetzung die Anträge auf den Weg bringen. „Wir werden dann auch nächste Woche zu Entscheidungen kommen im normalen Gesetzgebungsverfahren und Prozess des Deutschen Bundestages“, sagte Merz. „Aber die endgültige Entscheidung darüber liegt beim Ältestenrat des Deutschen Bundestages.“ Die Vorschläge von Union und SPD würden „hoffentlich auch unverändert dort eine Mehrheit finden“.
Expertenkommission zur Modernisierung der Schuldenbremse
Union und SPD wollen zudem eine Expertenkommission einsetzen, die einen Vorschlag für eine Modernisierung der Schuldenbremse entwickeln soll. Das geht aus einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Papier zu den Sondierungsgesprächen hervor. Die Modernisierung solle dauerhaft zusätzliche Investitionen in die Stärkung Deutschlands ermöglichen. Weiter heißt es: „Auf dieser Grundlage wollen wir die Gesetzgebung Ende 2025 abschließen.“
SPD-Sondierer Achim Post sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Um die Investitionskraft unseres Landes langfristig und strukturell zu stärken, haben wir uns verabredet, noch in diesem Jahr eine weitergehende, strukturelle Reform der Schuldenregel anzugehen und abzuschließen.“
„Whatever it takes“ für die Verteidigung
„Ich will es sehr deutlich sagen: Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: „whatever it takes““, sagte Merz bei einer Pressekonferenz mit den Spitzen von CSU und SPD in Berlin.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hält die Einigung zwischen Union und SPD über ein gigantisches Finanzpaket für wegweisend zur Stärkung der Sicherheit des Landes. „Das ist ein historischer Tag, für die Bundeswehr und für Deutschland“, sagte der SPD-Politiker dem „Spiegel“. „Wir senden ein starkes Signal an die Menschen in unserem Land und an unsere Bündnispartner“, sagte Pistorius. Ein entsprechender Beschluss des Bundestags ermögliche, dass Deutschland mit anderen eine führende Rolle übernehmen könnte, die Nato in Europa zu stärken.
SPD will Familien entlasten und „Investitionsstau“ auflösen
Die SPD wolle in den weiteren Gesprächen darauf drängen, dass Familien entlastet werden, dass die Renten stabil sind und es ein gerechtes Steuersystem gebe. Ganz vorne aber stehe ein gemeinsames Verständnis für die Größe und die Bedeutung der Aufgabe, sagte der SPD-Chef mit Blick auf die Einigung in Finanzfragen.

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„Wir lösen endlich den Investitionsstau in unserem Land auf“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil. Und weiter: „Unser Land fährt auf Verschleiß.“ Deswegen sei es wichtig, dass massiv investiert werde, damit Deutschland wieder besser funktioniere. „Eine künftige Regierung muss den Verschleiß unseres Landes stoppen.“
CSU-Chef Markus Söder sprach von einem großen „Deutschlandpaket“ und einem Signal an Freunde und Feinde. Ernste Zeiten erforderten sehr ernsthafte Maßnahmen.
Union und SPD wollen auch Schuldenbremse für die Länder lockern
Union und SPD wollen den Bundesländern außerdem höhere Kredite ermöglichen und dafür die Schuldenbremse für die Länder lockern. Das kündigte CDU-Chef Friedrich Merz in Berlin an. Weitergehende Entscheidungen zur Änderung des Bürgergeldes und zur „Begrenzung der viel zu hohen irregulären Migration“ würden ebenso anstehen, sagte Merz weiter.
Zuvor hatten die Spitzen von Union und SPD zu einem Pressestatement eingeladen. Die Partei- und Fraktionsführungen von CDU, CSU und SPD, Friedrich Merz, Markus Söder, Lars Klingbeil und Saskia Esken hatten angekündigt, sich zum Stand der Sondierungen äußern zu wollen, teilte die Unionsfraktion mit.
Grünen-Chef kritisiert Kehrtwende von Union bei Schuldenbremse
Grünen-Chef Felix Banaszak kritisierte gegenüber dem Tagesspiegel, dass Friedrich Merz und Markus Söder „all ihre Aussagen aus dem Wahlkampf ins Gegenteil verkehren, ohne rot zu werden.“ Banaszak sagte weiter: „Offensichtlich haben sie dem Land über Jahre schamlos Märchen erzählt. Mit dieser Ankündigung bestätigen sie alles, was Robert Habeck und wir in den letzten Monaten gesagt haben.“
Der Grünen-Chef sagte, dass SPD und Union für ihre Vorhaben die Stimmen der Grünen im Bundestag brauchen würden. „Guter Stil ist das alles nicht, da bleiben sich die Herren treu. Deshalb werden wir uns die Vorschläge in Ruhe anschauen und bewerten.“ Eine umfassende Reform der Schuldenbremse bleibe aber notwendig, um „nachhaltig nicht nur unsere Sicherheit und Freiheit, sondern auch Investitionen in Klimaschutz, wirtschaftliches Wachstum und eine intakte Infrastruktur zu sichern.“
Was Experten sagen
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm hat angesichts der Pläne von Union und SPD vor negativen Folgen gewarnt. „Wir brauchen in der Tat eine schnelle Steigerung des Verteidigungsbudgets. Aber ohne Reformen ist das ein Weg in den Abgrund“, sagte Grimm der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Grimm sagte weiter, es sei angesichts steigender Sozialausgaben und vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eine „extrem riskante Wette, den Reformbedarf durch Verschuldung immer weiter hinauszuschieben“. Sie fügte an: „Die Chancen, dass das gut geht, stehen schlecht.“
Grimm forderte gegenüber der „NOZ“, der Bundeshaushalt müsse derart umstrukturiert werden, dass „das Verteidigungsbudget dauerhaft aus dem Kernhaushalt gestemmt werden kann“.
Andere Ökonomen bewerten das Paket positiver. „Die Einigung der Sondierer ist ein Gamechanger, ein wuchtiges und gutes Paket“, sagte der Professor für International Economics an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Jens Südekum, am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), hofft auf einen Konjunkturschub: „Wenn das so gelingt, dann dürfte die Stagnation der deutschen Wirtschaft jetzt schnell überwunden sein“, sagte er. „Deutschland ist wieder wirtschaftlich und militärisch handlungsfähig.“
„Ein extrem wichtiger Schritt für die Sicherheit in Deutschland und Europa“, kommentiert der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick. Es sei sinnvoll, die Verteidigungsinvestitionen teilweise von der Schuldenbremse auszunehmen. „Es macht den Staat auch in künftigen Krisen handlungsfähig.“
Nach der Einigung in den wichtigsten Finanzfragen wollen Union und SPD die Sondierungsgespräche am Donnerstag und Freitag fortsetzen, um weitere Entscheidungen bei den Themen Haushalt, Migration, Wettbewerbsfähigkeit, innere Sicherheit und Migration zu treffen.
Ziel sei es, die Beratungen „zeitnah abzuschließen“, sagte Unions-Fraktionschef Friedrich Merz. „Wir sind uns der Dimension der vor uns liegenden Aufgaben bewusst. Und wir wollen dazu auch mit den Entscheidungen des heutigen Tages die ersten notwendigen Schritte gehen.“ Dies könne aber erst der Anfang einer „längeren Wegstrecke“ sein.
Beide Seiten haben am Dienstag über eine Einigung für milliardenschwere Finanzierungspakete für Verteidigung und Infrastruktur beraten. Zudem hatte die Union von der SPD große Zugeständnisse in der Migrations- und Flüchtlingspolitik gefordert. Wie die „Bild“-Zeitung berichtet, will die Union unter anderem „umfassende Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze“, sowie eine Reform des Bürgergeldes. (Reuters, dpa, Tsp)
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