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Politik: Vom ersten Euro an

Die SPD will bei Kinderbetreuungskosten die Koalitionsabsprache kippen – macht die Union mit?

Von
  • Hans Monath
  • Antje Sirleschtov

Mainz/Berlin - Matthias Platzeck hatte eine überraschende Erklärung für den Sinneswandel seiner Partei im Hinblick auf die Absetzbarkeit von Betreuungskosten. Mit dem Satz „Wer nicht mehr lernt, ist tot“ begründete der SPD-Vorsitzende am Montag nach der Vorstandsklausur seiner Partei in Mainz, warum die Sozialdemokraten nun einen gerade eine Woche alten familienpolitischen Beschluss der schwarz-roten Bundesregierung revidieren wollen. Bei der Kabinettsklausur von Genshagen hatte die große Koalition beschlossen, dass Kinderbetreuungskosten nur bei 6- bis 14-jährigen Kindern vom ersten Euro an absetzbar sein sollen, die Eltern jüngerer Kinder aber diese Kosten erst jenseits einer Schwelle von 1000 Euro beim Finanzamt geltend machen können. Platzeck, der betonte, er selbst sei in Genshagen nur Gast gewesen, nahm für sich in Anspruch, durch die Debatte über das Thema klüger geworden zu sein.

Tatsächlich hätte die SPD ihre eigene Klientel gerade zu einem Zeitpunkt enttäuscht, an dem sie einen neuen familienpolitischen Aufbruch wagt. Die Alleinerziehenden hatten schon gegen eine Schlechterstellung durch die neue Regelung protestiert. Bislang können sie Betreuungskosten jenseits einer Grenze von 750 Euro an absetzen – die neue Regelung hätte diese Schwelle noch um 250 Euro angehoben. „Auch die Alleinerziehenden und die Geringverdienenden“ sollten von den Beschlüssen zur Absetzbarkeit von Betreuungskosten „etwas haben“, sagte Platzeck.

Den von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) gesetzten Ausgabenrahmen von 460 Millionen Euro für die Jahre bis 2009 wollen die Sozialdemokraten nicht sprengen, die Summe allerdings „intelligenter verteilen“, wie Platzeck sich ausdrückte. Praktisch bedeutet dies, dass die Obergrenze sich gegenüber dem Beschluss von Genshagen verändert – genaue Zahlen dazu konnten die Sozialdemokraten am Montag noch nicht präsentieren. Die SPD-Familienpolitikerin Kerstin Griese sagte voraus, die Obergrenze werde „zwischen 1000 und 1500 Euro“ liegen. Das Mitglied des SPD-Bundesvorstands zeigte sich auch überzeugt, dass der neue Beschluss den gewünschten arbeitsmarktpolitischen Effekt erzielen werde. Die Koalition hofft, dass Familien Arbeitsplätze für Kinderbetreuung schaffen, wenn die Kosten teilweise absetzbar sind.

Mit der Union war der Revisionsbeschluss der SPD am Montag noch nicht abgestimmt, wie Platzeck einräumte. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte vor der Kabinettsklausur von Genshagen in mehreren Interviews erklärt, Betreuungskosten sollten vom ersten Euro an absetzbar sein. In der SPD wird vermutet, dass namhafte CDU-Politiker während der CDU-Klausur eine Woche vor Genshagen die eigene Ministerin zur Revision ihrer Pläne gezwungen hatten.

In der Unionsfraktion wurde vorerst signalisiert, dass man zu Änderungen bereit sei, allerdings nicht zur Ausweitung des Finanzrahmens - obwohl sich von der Leyen gegen eine Änderung der Genshagener Beschlüsse stellt. „Entscheidend ist, dass die 460-Millionen-Grenze nicht überschritten wird“, sagte der finanzpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Otto Bernhardt (CDU). Die überraschten Koalitionspartner wollen allerdings den Finanzminister mit der schweren Botschaft betrauen, den Sockelbetrag von 1000 Euro zu streichen und dafür den Familien zu verkünden, dass sie insgesamt weniger steuerlich absetzen können.

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