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Vorschläge von Bodo Ramelow: Neue Flagge und Hymne? Wir brauchen die Debatte darum
Brauchen wir eine neue Flagge? Nein. Eine neue Hymne? Vielleicht. Aber allein der Diskussionsprozess kann schon enorm hilfreich sein.

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Natürlich kann man die Vorschläge von Bodo Ramelow schnell abtun. Als Anbiederung an den Osten. Als Symbolpolitik. Und ja, Nationalhymne und Flagge sind ja auch Symbole – für ein geeintes Land. Aber dennoch trifft Ramelow einen Punkt.
West- und Ostdeutschland haben viele Fortschritte im Einheitsprozess gemacht. Vieles ist zusammengewachsen. Familien führen deutsch-deutsche Ehen. Menschen sind von Ost nach West und manchmal auch umgekehrt gezogen. Und dennoch gibt es nach wie vor Trennendes. Vor allem viele Ostdeutsche fühlen sich öfter noch unverstanden, ungehört.
Und Gefühle spielen in der Identität und damit im gesellschaftlichen Zusammenleben nun mal eine wichtige Rolle. Man kann sie nicht einfach ignorieren oder am besten mit einer westdeutschen Perspektive einfach von oben herab wegmoderieren.
Sondern sinnvoller ist es zu überlegen, wie man damit umgeht. Denn wenn der bis heute nicht abgeschlossene Einheitsprozess wirklich weiter erfolgreich sein soll, dann gehören da eben viele Dinge dazu, unter anderem die Frage: Wie schafft man denn ein wirklich gemeinsames Wertefundament? Ein gemeinsames Verständnis davon, was diesen Staat, diese Gesellschaft zusammenhält? Wie können denn unterschiedliche Biografien und Historien dafür gewinnbringend eingesetzt werden?
Für viele, sicher nicht alle, Ostdeutsche spiegeln sich diese Erfahrungen und eigenen Biografien noch viel zu wenig wider. Die Flagge ist das falsche Symbol. Denn es waren auch die Montagsdemonstranten in Leipzig, die mit schwarz-rot-goldenen Fahnen durch die Straßen gezogen sind. Sie ist ein Symbol der Freiheit.
Die Hymne? Nun, bei ihr ist von „Einigkeit, Recht und Freiheit“ die Rede: Werte der friedlichen Revolution von 1989. Aber vielleicht fehlt ihr etwas? Warum nicht darüber nachdenken, ob Passagen ergänzt oder verändert werden können.
Im Kern aber und das ist unser Werteverständnis, geht es um das Grundgesetz. Kurz nach dem Fall der Mauer und im unmittelbaren Einheitsprozess wurde es versäumt, eine gemeinsame, verbriefte Wertebasis zu formulieren und zu schaffen. Es drängten auch andere Themen und die Zuversicht, dass es auch ohne geht, war groß. Jetzt könne man das ja nicht einfach nachholen.
Warum eigentlich nicht? Wir leben heute in völlig anderen Zeiten, mit viel Erfahrung aus dem Einheitsprozess. Und allein die Debatte darüber, der Diskussionsprozess, kann schon enorm hilfreich sein. Denn er bedeutet zuhören, verstehen, akzeptieren und in Nutzbares wandeln. Was immer das dann auch ist.
Symbolpolitik ersetzt niemals harte und sehr notwendige Sachpolitik. Aber sie kann, wenn sie sinnvoll eingesetzt und diskutiert wird, auch helfen, Gefühlen, so irrational sie vielleicht sein mögen, zu begegnen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt verbessern. Es braucht eben beides.
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