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Politik: Vorwärts in die neue Zeit

Von Stephan-Andreas Casdorff

Da sind sie wieder, unsere Politiker, zurück aus, nein, nicht dem Schnee, sondern aus kurzzeitiger Winterfrische. Aber besonders frisch wirkt nicht, was sie uns, dem Souverän, dem Wähler, der ihnen das Vertrauen geben soll, anbieten. Immer die alten Themen, dieser Sprachbombast, diese Wölbungen und Nullformeln, die seit Jahren beklagt werden. Wer, im Ernst, versteht schon noch, was die so reden? Man müsste mal mitstenografieren, frei nach Tucholsky, und ihnen zum Lesen geben. Nehmen wir die vermaledeite Gesundheitsdebatte: Das ist Reformpathos, unterlegt von bürokratischen Formeln, funktionärsmäßig, manchmal unmenschlich. Zwischendurch klingt das wie ein einvernehmliches Vorwärts in die 50er in Westdeutschland. Und das alles verdeckt nur, wie schwierig es für die amtierenden Koalitionäre ist, im Inhalt zusammenzufinden, wie viel schwieriger es offenkundig mit bald jedem Tag wird.

Ja, und so kommt dieser Gedanke auf: Warum nicht Schluss machen, wenn es doch nicht wirklich zusammenpasst, was zusammengefügt worden ist? Defätistisch. Unrealistisch. So darf man doch nicht … Aus Verantwortung für Deutschland … Alle haben doch einen langen, harten Weg vor sich … Ach je, das ist so richtig, wie es falsch ist. Natürlich hätte jede andere Koalition auch Schwierigkeiten zu bewältigen. Nur hätte sie vielleicht nicht diese, die darin liegen, dass die Parteien sich einander anverwandeln. Will sagen: Die Union versucht nach ihrem Desaster 2005, sozialdemokratisch zu werden, die SPD ihrerseits, die neue Beck-Mitte, die Handwerker und Techniker und Lehrer und Sozialliberalen und wertkonservativen Sozialstaatsbewahrer, an sich zu ziehen. Freiheit statt Kapitalismus. Ein Slogan für zwei.

Bloß gelingt es beiden nicht. In der Union rumort’s hörbar, weil die Parteitage, auf denen ganz anderes beschlossen wurde, eine stramme Reformorientierung, doch noch nicht ganz vergessen sind, und der SPD laufen die Mitglieder in Scharen davon, jetzt sogar wieder mehr als vor Beck. Dazu kommt noch, dass Meinungsumfragen – und sage kein Politiker, er schaue nicht darauf, das ist schlicht gelogen – der Union gerade 35 Prozent geben und der SPD lediglich noch 26 Prozent. 26! Die Union ist somit noch schwächer als bei der Merkel-Wahl und als bei Kohls Abwahl, die SPD tief wie nie. Die FDP kann für sich ruhig das „Projekt 18 plus“ ausrufen. Hier wird eine Zahl zum Menetekel für die einen – und für die anderen zum Fanal. Und zwar für die in der Union, die anderes wollen. Wann, wenn nicht jetzt, können CDU und CSU beginnen, in der Koalition auf Biegen oder Brechen zu gehen, strategisch gesehen?

Nun, dafür spricht: Merkel punktet am ehesten in der Außenpolitik. Im ersten halben Jahr hat sie gleich zwei Megaereignisse vor sich, die Präsidentschaften in der EU und bei den G 8. Und weil alles vorbereitet wird, sogar fast jedes Wort, wird es ihr schon gelingen, weitgehend jedenfalls. Zumindest wird es irgendwo annehmbare Ergebnisse geben und keine großen Eklats. Die SPD fällt dabei hinten runter, in der Wahrnehmung und überhaupt. In der Zwischenzeit kann sich die Union ein Thema suchen, das ihr wichtig ist, eine Reform, die ihr wirklich wichtig ist, und die SPD vor die Alternative stellen: entweder so oder gar nicht. Entweder die Sozialdemokraten beugen dann das Knie vor der Kanzlerin – weil sie sich weiter im Tief befinden und, siehe oben, nicht so schnell daraus befreien können –, oder sie verlassen die Koalition. Dann aber wären sie die Schuldigen, und Merkel könnte argumentieren: Ihr verweigert euch, ihr versündigt euch an der Zukunft des Landes. Damit dann in den Wahlkampf gehen und Neuwahlen bestehen, in jedem Fall besser als die SPD.

Das klingt nur wild. Doch mit der erstarkenden FDP gibt es jetzt schon 48 Prozent, und mit den Grünen zusammen eine Mehrheit. Eine Mehrheit bei den Bürgern für eine Koalition, in der die Partner einander nicht gar so ähnlich sind. Und in der Union gibt es eine Mehrheit für den Ruf: vorwärts – in die neue Zeit. Vielleicht nach der Sommerfrische.

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