Politik: Was haben die Grünen erreicht?
Frau Müller will höchstens dreißig Jahre, Herr Müller will mindestens dreißig Jahre. Sie ist Fraktionssprecherin der Grünen, er ist Bundeswirtschaftsminister.
Frau Müller will höchstens dreißig Jahre, Herr Müller will mindestens dreißig Jahre. Sie ist Fraktionssprecherin der Grünen, er ist Bundeswirtschaftsminister. Und beide streiten seit einem Jahr darum, wie lange der Ausstieg aus der Atomenergie dauern soll. Worin aber besteht, in Jahren ausgedrückt, der Unterschied zwischen höchstens und mindestens dreißig Jahren?
Was immer die Grünen derzeit zum Thema Atom-Ausstieg aufführen - es handelt sich um Schluckbeschwerden: Sie haben Schwierigkeiten damit, dass sie offenbar für all die Jahre ihres Anti-AKW-Engagements nichts bekommen. Nichts von dem, was sie verlangt hatten; nichts, was sich binnen einer Legislaturperiode vorzeigen ließe. Aber war das je realistisch? Muss man das Ergebnis ihrer Ausstiegspolitik nicht an dem messen, was geschehen wäre, wenn es die Grünen nicht gäbe? Wie lange wären die deutschen Atomkraftwerke gelaufen, bis man sie wegen Endlagerproblemen, wegen mangelnder Rentabilität, wegen diverser Störfälle abgeschaltet hätte? Eine hypothetische Frage, die man allenfalls so beantworten kann - ungefähr dreißig Jahre. Vielleicht ein wenig mehr.
Nur zu bekommen, was ohnehin gekommen wäre, ist kein gutes Ergebnis. Die Grünen erwartet ein turbulenter Parteitag im März. Man kann sich fragen, mit wie viel Identitätsproblemen sie für diesen Misserfolg werden bezahlen müssen. Man kann aber auch fragen: Wen interessiert das? Ob eine 6,5-Prozent-Partei Bauchgrimmen hat oder nicht: Deutschland ist keine WG. Hier geht es nicht um Befindlichkeiten. Hier geht es um internationale Strommärkte.
Dass viele, vielleicht die meisten, das heute so sehen, darin besteht die strategische Niederlage der Grünen. Noch vor einem Jahr befürwortete eine klare Mehrheit der Deutschen den allmählichen Ausstieg. Heute wirkt es beinah so, als sei der Atomausstieg eine Privatangelegenheit der Grünen. Der äußere Grund dafür lässt sich leicht benennen: Er heißt Jürgen Trittin. Der Umweltminister hat das Thema solange falsch behandelt, bis die Mehrheit der AKW-Gegner zu einer Minderheit der Trittin-Freunde zusammengeschmolzen war.
Dennoch trägt Trittin nicht allein die Schuld. Die Atomenergie hatte ihren Höhepunkt in den 70er Jahren, als über die Nebenfolgen industriellen Handelns wenig nachgedacht wurde. Gegen diese Gedankenlosigkeit entstand eine Bewegung, die im Gegenzug die Gefahren ins Apokalyptische übertrieb. Dieser Bewegung entstammen die Grünen. Die AKW haben die risikobewussteren 80er Jahre überstanden, die Grünen sogar die 90er, in denen man erneut von Gefahren nicht viel wissen will.
Als politische Rückversicherung gegen eine entfesselte Modernität können die Grünen immer noch bestehen, auch weit über das Problem der Atomkraft hinaus. Unter einer Voraussetzung: Sie dürfen nicht den Eindruck erwecken, als ging es ihnen mehr um ihre eigene Vergangenheit als um die Zukunft der Gesellschaft. Auch die Apokalypse hat ausgedient, der angeblich drohende Untergang kann keinen radikalen Gestus mehr begründen. Eine moderne ökologische Partei muss konsequent sein, radikal im Auftreten darf sie nicht mehr sein. Auch nicht als Attitüde.
Bei der Atomkraft hätte die Regierung nüchtern entscheiden können: Um das geringe Risiko eines großen Unfalls zu vermindern, steigt sie früher aus. Und geht dafür ein überschaubares ökonomisches Risiko ein. Das wäre mit den Deutschen vielleicht zu machen gewesen. Die Grünen haben es mit ihrem etwas angestaubten Kult um Ausstiegstermine selbst verhindert.