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Politik: Watergate an der Seine?

Juppés Richter wurden offenbar bespitzelt und terrorisiert – trotzdem steht Präsident Chirac treu zu seinem Hoffnungsträger

Dem strengen Gerichtsurteil gegen Frankreichs Ex-Premierminister Alain Juppé in einer mehr als zehn Jahre zurückliegenden Parteispenden-Affäre im Pariser Rathaus könnte eine Staatsaffäre folgen. Die französische Presse spricht bereits von einem „Watergate à la francaise“. Präsident Jacques Chirac hat zum Wochenbeginn gemeinsam mit dem französischen Justizminister Dominique Perben ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, nachdem bekannt geworden war, dass die für den Fall Juppé zuständigen Richter monatelang ausspioniert und extrem unter Druck gesetzt worden waren.

In die Büros des zuständigen Gerichts in dem Pariser Vorort Nanterre soll eingebrochen worden sein. Angeblich wurden Unterlagen gestohlen, Computerdaten durchsucht, Telefonabhörgeräte und Wanzen angebracht. Die Vorsitzende des Gerichts, Catherine Pierce, soll sogar mit Morddrohungen verfolgt worden sein. Diese Nachrichten lösten helle Aufregung bei den Konservativen aus – nicht nur, weil unklar ist, von welcher Seite die Störmanöver vor dem Richterspruch gekommen sein könnten, sondern auch, weil man sich fragt, warum das Gericht die Vorfälle bis zum Tag der Urteilsverkündung verschwiegen hatte. Im Ernstfall könnten die Untersuchungen dazu führen, dass das Urteil gegen Juppé aufgehoben wird und der Prozess dann neu aufgerollt werden muss.

Der als äußerst korrekt geltende Juppé ist eine Schlüsselfigur im kleinen Kreis der engsten Vertrauten um Präsident Chirac. Er war bislang der heimliche Thronfolger für Chirac im Elysée-Palast und zugleich die Waffe gegen den selbst von seinen Parteigenossen gefürchteten, ehrgeizigen Innenminister Nicolas Sarkozy, der das Präsidentenamt ganz alleine erobern will. Juppé steht, selbst in den Augen parteipolitischer Gegner, für die Fortsetzung der eingeschlagenen Europapolitik, für ein gesundes Frankreich und gegen jegliche Einflüsse der rechtsradikalen Partei Front National. Nur sechs Wochen vor den Regionalwahlen wünschen sich die in Paris Regierenden alles andere als diese Probleme mit ihm.

Juppé, früher Premierminister und heute Präsident der konservativen Regierungspartei UMP sowie Bürgermeister von Bordeaux, war am vergangenen Freitag zu 18 Monaten Bewährungsstrafe verurteilt worden. Gleichzeitig wurde ihm sein passives Wahlrecht für zehn Jahre entzogen, was de facto das Ende der politischen Karriere des bürgerlichen Hoffnungsträgers bedeutet. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er als Finanzchef im Pariser Rathaus zwischen 1988 und 1995, damals unter Chirac als Bürgermeister, Scheinanstellungen geduldet habe, um die Kassen der früheren Chirac-Partei RPR zu füllen. Juppés Anwalt legte nach der Urteilsverkündung umgehend Berufung ein.

Hinter Chirac lag an diesem Montag eines der anstrengendsten Wochenenden seiner Karriere. Wie sollte er reagieren in einer Affäre, in die er selbst verwickelt, wegen seiner Immunität aber nicht angreifbar ist ? Wie einen Parteifreund retten, der im Vorfeld entschlossen ankündigte, sich aus der Politik zurückzuziehen, falls er verurteilt werden sollte? Chirac verhielt sich am Montag zunächst diplomatisch und betonte seine Wertschätzung für den 58-jährigen Politiker. „Frankreich braucht einen Mann wie Juppé“, sagte er bei einem Besuch in Marseille, „einen Mann für den ich Freundschaft, Wertschätzung und Respekt empfinde, einen ehrlichen, kompetenten und menschlichen Politiker“. Juppé hatte sich nach der Urteilsverkündung zurückgezogen und will sich erst an diesem Dienstag zu seiner politischen Zukunft äußern. In seiner Heimatstadt Bordeaux wurde er am Montag mit stehenden Ovationen empfangen.

Sabine Heimgärtner[Paris]

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