Politik: Wege aus der Sackgasse
Merkel startet Wiederbelebung der EU-Verfassung
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Brüssel/Berlin - Bundeskanzlerin Angela Merkel will in der „Berliner Erklärung“ zu den künftigen Zielen der EU die Mitgliedstaaten auf eine Lösung der Verfassungskrise bis spätestens 2009 verpflichten. Das geht aus dem aktuellen Textentwurf hervor, der dem „Handelsblatt“ vorliegt. Mehrere EU-Staaten haben Vorbehalte gegen dieses Datum, weil sie es als verfrüht empfinden.
Im Entwurf heißt es, 50 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge sei die EU vereint in dem gemeinsamen Ziel, rechtzeitig vor den Europawahlen 2009 die gemeinsame Grundlage zu erneuern, auf der die EU aufgebaut sei. Das Wort „Verfassung“ wird in dem englischen Textauszug, der an die EU-Botschafter der 27 Staaten verteilt wurde, nicht ausdrücklich erwähnt.
Als strittiger Punkt wird in dem Entwurf das „europäische Sozialmodell“ erwähnt, das nur gemeinsam in Zukunft bewahrt werden könne. Vor allem Großbritannien hatte bisher dagegen Vorbehalte. Hintergrund ist die Debatte darüber, ob die europäische Verfassung um eine Sozialerklärung ergänzt wird. Berlin behandelt die Erklärung als strikte Geheimsache. Der Text werde Ende der Woche fertiggestellt, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Die „Berliner Erklärung“ soll bei einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am Sonntag unterzeichnet werden.
Die tschechische Regierung ist unzufrieden damit, dass in der Erklärung die Europawahlen 2009 als Zieldatum für die Erneuerung der institutionellen Grundlagen der EU und damit für die Lösung des Verfassungsstreits genannt werden. Tschechien ist dieses Datum zu früh. „Deutschland übernimmt für den Text die volle Verantwortung (...) Wir haben uns Verlauf und Ergebnis anders vorgestellt“, sagte der tschechische Unterhändler Jan Zahradil der Prager Zeitung „Pravo“. Der Europaabgeordnete Elmar Brok sagte in Brüssel kurz nach einem Besuch bei der tschechischen Regierung, dass sich Prag vorbehalte, die „Berliner Erklärung“ auf seine Weise zu interpretieren.
Der EU-Gipfel in Berlin soll ganz im Zeichen der Feier zum Jahrestag der Römischen Verträge stehen. Erst danach wird die eigentliche Arbeit zur Fortsetzung des Verfassungsprozesses beginnen – zunächst zähe diplomatische Vorarbeit hinter den Kulissen. Erst nach den französischen Präsidentschaftswahlen wird sich für gerade mal zwei Wochen ein Fenster der politischen Gelegenheiten öffnen. Beim EU-Gipfel im Juni wird sich zeigen, ob die Kanzlerin die Chance nutzen kann. Ein großer Erfolg für Merkel wäre es schon, wenn es ihr gelänge, alle EU-Regierungschefs auf einen Weg, ein Mandat und einen Zeitplan zur Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrags einzuschwören.
Brok und der Sozialdemokrat Enrique Baron Crespo legten in Brüssel eine „Road Map“ vor, eine Wegbeschreibung, wie der Verfassungsvertrag aus der Sackgasse geholt werden kann. Kern ist die Trennung des eigentlichen Verfassungsteils vom alten EU-Vertrag von Nizza. 80 Prozent des vorliegenden Textes bestehen nämlich aus dem alten EU-Vertrag mit all seinen vielen Einzelbestimmungen, die den Verfassungsvertrag für die Bürger unlesbar gemacht haben. Dieser Teil drei könnte aus dem Dokument herausgelöst werden.HB/tog/AFP
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