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Sorgen bereitet den Behörden, dass sich Bewegungen mit unterschiedlicher Motivation miteinander verbünden.

© dpa

Politik: Wenn Fanatismus um sich greift

Russische Desinformation, Cyberangriffe, rechter Terror und Coronaleugner: Die Gefahren für die innere Sicherheit nehmen weiter zu.

Von Frank Jansen

Die Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden könnten kaum größer sein. „Wir befinden uns in einer der fragilsten weltpolitischen Situationen seit Jahrzehnten“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstag in Berlin. Faeser sprach beim Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zur „Bedrohung der Inneren Sicherheit Deutschlands – von Delegitimierung bis Desinformation“. Die Ministerin sieht das Land in einer Zeit „großer Veränderungen, Verunsicherungen und Gefahren“. BfV-Präsident Thomas Haldenwang betonte, „viele bedrohliche Trends und Prognosen bedürfen unserer Aufmerksamkeit“. Die Gefahren für die innere Sicherheit sind 2022, so scheint es, auf vielen Feldern gewaltig.

Russische Desinformation
Sorge bereitet den Sicherheitsbehörden vor allem die Eskalation russischer Desinformation. Diese habe seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in Deutschland „eine neue Dimension“ erreicht, sagte Faeser. Putins Regime wolle das „Narrativ einer angeblichen Russophobie des Westens“ verfestigen. Die Ministerin zeigte deutlich auf die russische Botschaft in Berlin.

[Lesen Sie bei Tagesspiegel Plus die Hintergründe zur „Russland-Connection“ in Mecklenburg-Vorpommern.]

Die Diplomaten haben ein „SOS“-E-Mail-Postfach eingerichtet, bei dem Fälle von „Mobbing, Belästigung, Drohungen, Angriffen oder physischer Gewalt“ gegen russische Staatsangehörige gemeldet werden sollen. So berichtet die Botschaft auf ihrer Website, russischsprachige Frauen seien in Koblenz von ukrainischen Flüchtlingen bedroht worden, Schüler in München würden wegen ihrer russischen Wurzeln gemobbt und eine Luftfahrtbehörde habe der „Amateurfotografin Anastasia S.“ verboten, eine Drohne im Freien fliegen zu lassen, weil die Frau die russische Staatsbürgerschaft habe.

Aktuell sollen auf russischer und ukrainischer Seite etwa 30 Hackergruppen aktiv sein.
Aktuell sollen auf russischer und ukrainischer Seite etwa 30 Hackergruppen aktiv sein.

© picture alliance / Silas Stein/dpa

Auch wenn die Polizei keineswegs antirussische Übergriffe leugnet, ist der Wahrheitsgehalt der Geschichten zweifelhaft. „Die auf der Website der russischen Botschaft geschilderten angeblichen Fälle sind nicht nachprüfbar“, sagte Faeser. Ihr Ministerium habe direkt nach Kriegsbeginn „eine ressort- und behördenübergreifende Task-Force aufgebaut, die russische Falschinformationen identifiziert“. Faeser kündigte zudem einen „Gemeinsamen Aktionsplan des Bundes und der Länder gegen Desinformation“ an.

Russische Cyberattacken
Auch wenn seit Kriegsbeginn der ganz große Angriff bislang ausblieb, richten russische Hackerattacken durchaus Schaden an. Am vergangenen Samstag wurden das Landesportal „Berlin.de“ und alle damit verbundenen Bürgerservices für zwei Stunden lahmgelegt. Die Täter waren mutmaßlich Aktivisten der russischen Gruppierung „Killnet“.

Hass im Kopf. Viele Rechtsextremisten sind militant. Die Zahl der rechten Gewalttaten im ersten Quartal 2022 stieg deutlich.
Hass im Kopf. Viele Rechtsextremisten sind militant. Die Zahl der rechten Gewalttaten im ersten Quartal 2022 stieg deutlich.

© Norbert Millauer/DDP

Die Cyberkriminellen schwärmen schon länger aus, betroffen waren auch bereits deutsche Politiker. Das BfV warnt zudem vor Angriffen auf Webseiten von Unternehmen und Forschungseinrichtungen.

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Gleich zu Kriegsbeginn hatten russische Hacker einen ersten Schrecken verursacht. Am 24. Februar waren 5800 Windkraftanlagen der norddeutschen Firma Enercon für die Fernsteuerung nicht mehr zu erreichen. Russische Hacker hatten den US-amerikanischen Satellitenbetreiber Viasat attackiert und europaweit 30 000 Satellitenterminals getroffen. Die abgekoppelten Windräder waren Teil eines weit größeren Schadens.

Rechtsextremer Terror
Als seien die Gefahren im Gefolge des russischen Angriffskriegs nicht groß genug, wächst in Deutschland auch die Gefahr rechtsextremer Anschläge. In klandestinen Chatgruppen würden oftmals Attentäter glorifiziert und teilweise sehr junge Internetnutzer zu Gewalttaten inspiriert, sagte BfV-Chef Haldenwang beim Symposium. Ein gruseliger Fall ist der des vergangene Woche in Essen festgenommenen 16-Jährigen, der offenbar Bombenanschläge auf eine Schule geplant hatte. Die Polizei fand bei dem Jugendlichen 16 halb fertige Sprengsätze, zum Teil mit Nägeln gespickt. Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen. Das ist bei Jugendlichen selten. Doch da kommt womöglich noch mehr. Der rassistische Anschlag eines 18-Jährigen in der US-Stadt Buffalo, bei dem zehn Menschen starben, wird in den Internetforen oft junger Fans von Amokläufen gefeiert.

Nicht minder gefährlich war eine Clique Erwachsener aus den Chatgruppen der „Vereinten Patrioten“. Geplant war, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen und mit Anschlägen die Stromversorgung der Republik zu unterbrechen, um einen Bürgerkrieg auszulösen. Die Polizei nahm im April vier Männer fest und stellte Waffen sicher. Die „Vereinten Patrioten“ zählen zur aggressiven Mischszene aus Rechten, Reichsbürgern und Coronaleugnern.

Eine Woche zuvor war das BKA in elf Ländern gegen Neonazis der „Atomwaffen Division“ und weiterer Gruppierungen vorgegangen. Auch diese Rechtsextremisten träumen von einem Bürgerkrieg.

Das Potenzial solcher Fanatiker wird größer. Die Szene der Reichsbürger wuchs 2021 um 1000 Personen auf 21 000. Der Verfassungsschutz registriert zudem schon länger eine Zunahme gewaltorientierter Rechtsextremisten. 2019 waren es 13 000, 2020 dann 13 300. Der Trend habe sich 2021 fortgesetzt, heißt es in Sicherheitskreisen.

Fanatismus wird variabler und diffuser
Die Warnungen des BfV vor einer Entgrenzung des Extremismus realisierten sich „in einer doppelten Bewegungsrichtung“, sagte Haldenwang. Bewegung eins: Extremisten forcieren den Schulterschluss mit bürgerlichen Kräften, wie die Rechten mit Coronaleugnern und Linksextreme mit Klima-Aktivisten. Bewegung zwei: Es bilden sich neue Szenen wie die „Delegitimierer“. So bezeichnet das BfV das Milieu, das sich über Coronaproteste und Verschwörungstheorien radikalisiert. Laut Haldenwang ein „Do-it-yourself-Extremismus, der sich auf den Wühltischen des Internets bedient“. Häufig bei Telegram. Dort sind auch Islamisten unterwegs. Ihre Szene hat jedoch angesichts der Niederlagen der Terrormiliz IS an Dynamik eingebüßt.

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