Politik: Wer dem Frieden nicht traut
ROT-GRÜN UND DER IRAK
Von Christoph von Marschall
Die meisten Deutschen sind strikt gegen den Krieg, aber viele auch gegen den Bruch mit Amerika. Die Entwicklung lief in ihrem Sinn. Bis gestern. Fast jeder Tag brachte neue Hindernisse für Bushs Kriegskurs. In den UN drohen drei Vetomächte, eine Kriegsresolution zu verhindern. In der Türkei scheitert der Aufbau der Nordfront am Parlament. Saddam Hussein hat nach drei Monaten Kontrolle begonnen abzurüsten, lässt Raketen verschrotten, erlaubt Aufklärungsflüge und Verhöre seiner Rüstungsexperten, findet plötzlich Massenvernichtungswaffen.
Es stimmt schon, das Einlenken ist Bushs Drohkulisse zu verdanken. Das räumt der Kanzler ja ein, den Aufmarsch nennt er nicht mehr ein „Abenteuer“. Was ihn früher zeitweise zu isolieren drohte, hat er korrigiert. Kein kategorisches Nein mehr zur Gewalt; die ist auch für ihn „letzter Ausweg“. Aber es geht ja anders, sagt Chefinspekteur Hans Blix im Sicherheitsrat und fordert: Weiter mit den Inspektionen, wir kommen voran!
Kanzler Schröder und Außenminister Fischer dürften sich freuen. Ein Angriff auf den Irak lässt sich kaum begründen. Die Skepsis wächst weltweit, nicht nur in Deutschland. Und sie müssen die Fronde gegen Bush nicht mehr anführen, das machen andere. Dennoch ist im Auswärtigen und im Kanzleramt keine Erleichterung zu spüren. Die Stimmung ist nachdenklich, fast gedrückt. Mit Bushs Rede am Abend vor dem BlixBericht ist der Irak-Konflikt in eine neue Phase getreten. Und die stellt andere Anforderungen an Rot-Grün als die diplomatische Arbeit an der Ablehnungsfront. Bush wird Krieg führen, Zweifel daran sind nicht mehr möglich. Die Frage ist nur noch, wann er beginnt, wie der Sicherheitsrat sich verhält und wie Deutschland reagieren soll.
Es ist eine ungeheure Zumutung, wie Bush mit alten Freunden Amerikas umspringt. Er ignoriert ihren Willen. Und den des Sicherheitsrats, der höchsten internationalen Instanz. Er schreckt sogar vor einer brutalen Erpressung nicht zurück: Paris, Moskau und Peking drohen mit Veto? Das wollen wir doch mal sehen. Bush pfeift auf die allgemein erwartete sanftere Variante: eine Resolution, die nicht durchkommt, erst gar nicht zur Abstimmung zu stellen; und zu argumentieren, 1441 genüge als Legitimation, weil der Irak noch immer nicht alle Forderungen erfüllt habe. Bush will den Sicherheitsrat vorführen: Für die Amerikaner sollen die Nein-Sager schuld sein, wenn er ohne Rückendeckung der UN Krieg führen muss und deren Autorität leidet.
Ohnmächtige Wut wäre eine verständliche Reaktion. Schröder und Fischer könnten von der Kriegsverhinderung zur Kriegsbehinderung übergehen und alle Zusagen in Frage stellen: keine deutschen Awacs-Soldaten, keine Überflugrechte, keine Bewachung amerikanischer Kasernen, keine Spürpanzer in Kuwait. Mit dem fehlenden UN-Mandat ließe sich das begründen. Sie haben sich jedoch entschlossen, ihre Empörung zu zügeln. Es ist Schaden genug, wenn sie den Krieg, den sie für falsch halten, nicht verhindern können. Mit der neuen Phase des Irak-Konflikts tritt eine andere Priorität in den Vordergrund: Schadensbegrenzung. Auch wenn sie sich damit den Zorn vieler deutscher Kriegsgegner zuziehen, die den Schwenk zur neuen Logik nicht ohne weiteres mitmachen. Und schon gar nicht die neue Psychologik.
Der neue Sound: Schröder und Fischer haben Bush die Missachtung des Völkerrechts vorgeworfen, aber die Vokabel „rechtswidriger Angriffskrieg“ wird man von ihnen nicht hören – auch weil der Vorwurf sie jetzt indirekt mitträfe. Sie haben es sich offen gehalten, die Resolution 1441 als ausreichende Kriegsgrundlage zu interpretieren. Sie hatten gewarnt, dieser Krieg sei unkalkulierbar und werde viele Opfer kosten, vor allem im Irak; und womöglich die ganze Region ins Chaos stürzen. Nun müssen sie darauf setzen, widerlegt zu werden, und hoffen, dass die Amerikaner schnell siegen, problemlos, mit wenig Opfern – und ohne Destabilisierung der Nachbarstaaten. Und die Anti-Amerika-Stimmung, der sie Raum gaben und die Bush mit seiner Rücksichtslosigkeit neu befeuert: Die werden sie einzudämmen versuchen.
Ist das opportunistisch, nun einfach auf Plan B umzusteigen? Nein. Eine neue Lage verlangt neue Strategien. Das Ziel bleibt das alte – den Schaden für die Deutschen auf ein Minimum zu begrenzen.
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