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"Nicht in meinem Namen" - Muslime in Barcelona demonstrieren nach den Anschlägen in Paris.

© AFP

Nach den Anschlägen von Paris: "Wer Muslime unter Generalverdacht stellt, spielt den Terroristen in die Hände“

Der israelische Terrorismus-Experte Yoram Schweitzer empfiehlt die Verzahnung europäischer Nachrichtendienste - und enge Zusammenarbeit mit muslimischen Gemeinden.

Herr Schweitzer, haben Sie die Anschläge von Paris überrascht?

Im Gegenteil, es war nur eine Frage der Zeit, bis der IS seinen Krieg in Syrien und Irak auch in Europa führt. Das ist eine Entwicklung, die wir schon während des Afghanistan-Krieges beobachtet haben: ausländische Dschihadisten wurden vor Ort ideologisiert, im Kampf an der Waffe geschult und haben den Terror anschließend in ihre Heimatländer getragen.

Haben die Nachrichtendienste versagt?
Nein, das glaube ich nicht. Den europäischen Nachrichtendiensten war seit Jahren bewusst, dass es über kurz oder lang auch im Westen zu Anschlägen dieser Art kommen wird. Einen hundertprozentigen Schutz vor terroristischen Attacken gibt es nicht – das ist schon statistisch eine Unmöglichkeit.

Dennoch: Es ist bereits das zweite Mal in diesem Jahr, das Paris Ziel islamistischer Anschläge wurde. Haben die französischen Sicherheitskreise die Bedrohung unterschätzt?

Ich bin als Israeli nicht in der Position, die Europäer zu belehren. Wichtig für eine erfolgreiche Geheimdienstarbeit ist es, dass der Nachrichtenaustausch zwischen den verschiedenen Sicherheitseinrichtungen reibungslos verläuft. Ich glaube, dass die Franzosen - aber auch die Europäer im Allgemeinen - da noch Reformbedarf haben. Im Schengenraum verläuft die Geheimdienstarbeit noch zu häufig entlang der nationalen Grenzen, das muss sich ändern.

Unterstützen Sie ein militärisches Vorgehen Europas im Nahen Osten?
Ja, der Westen hat es bislang versäumt, in der Region Stabilität zu schaffen. Das rächt sich jetzt. Mit dem Arabischen Frühling ist ein Machtvakuum im Nahen Osten entstanden. Viele Regime haben ihre Legitimation und damit auch ihr Gewaltmonopol verloren. Der IS verdankt seinen Erfolg vor allem dieser schwäche der staatlichen Infrastrukturen in der Region. Schauen Sie nach Bagdad: Der irakischen Regierung ist es bis heute nicht gelungen, das Vertrauen der sunnitischen Bevölkerung zu gewinnen. In Syrien oder Libyen ist es der gleiche Fall: Überall ist es dem IS gelungen, dieses Vakuum füllen. Eine Antwort auf diese Bedrohung muss der Westen weitaus mehr Ressourcen aufwenden, als er das bislang getan hat – und dazu gehören auch militärische Ressourcen. 

In Deutschland wird darüber diskutiert, inwiefern der Zustrom von Flüchtlingen Anschläge wie die in Paris erst ermöglicht hat. Was sagen Sie dazu?

Der israelische Terrorismus-Experte Yoram Schweitzer fordert ein entschiedenes Vorgehen gegen den Islamischen Staat.
Der israelische Terrorismus-Experte Yoram Schweitzer fordert ein entschiedenes Vorgehen gegen den Islamischen Staat.

© OQB.Communcations

Wir dürfen den Terroristen nicht in die Hände spielen. Wer Muslime unter Generalverdacht stellt, tut aber genau das. Wenn in Europa Rechtsextreme gegen Flüchtlinge hetzen und Anschläge gegen Muslime ausführen, werden es islamische Extremisten ihrerseits sehr viel einfacher haben, unter den Flüchtlingen Sympathisanten zu rekrutieren.

Was schlagen Sie vor?

Es gab acht Menschen, die die Gräueltaten von Paris begangen haben – und wahrscheinlich waren noch einmal ein paar Dutzend Menschen mehr im Hintergrund an der Umsetzung beteiligt. Wir dürfen nicht zulassen, dass dreißig oder vierzig Menschen es schaffen, die politischen Verhältnisse und Sicherheitssituation in Europa komplett umzukrempeln. Das wäre ein Sieg für den Terrorismus und ein Nährboden für Rechtsextremisten. Es ist daher entscheidend für die europäische Politik, die Kommunikation mit den muslimischen Gemeinden auszubauen und sie als Partner im Kampf gegen den Terror zu gewinnen.   

Yoram Schweitzer leitet am Institute for National Security Studies (INSS) das Terrorismus-Forschungsprogramm. Zuvor beriet er die israelische Regierung in Anti-Terror-Strategien und war Leiter der Terrorbekämpfungs-Sektion bei den israelischen Streitkräften.

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