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Eine Marke für sich. Sebastian Turner, 45, kehrt mit seiner Bewerbung fürs Rathaus in Stuttgart an den Ort seiner Jugend zurück.

© laif

Sebastian Turner: Werbung in eigener Sache

Er war der Superdenker der Berliner Agentur Scholz & Friends, der kluge Kopf hinter den Kampagnen. Jetzt will Sebastian Turner Oberbürgermeister in Stuttgart werden, einer Stadt, die zuletzt vor allem eines hatte: Probleme mit der Kommunikation. Aber kann ein Werber zum Politiker werden?

Er hat ein Gesicht, das vor allem deshalb irritiert, weil man meint, es schon mal irgendwo gesehen zu haben. Es ist das Gesicht von Sebastian Turner, der durchschnittlich aussieht und nicht auffällt, weil er solide wirkt, bescheiden und unscheinbar wie einstmals der Waschmittelmann aus dem Fernsehen: „Persil. Da weiß man, was man hat. Guten Abend.“

Aber weiß man bei Sebastian Turner wirklich, was man hat?

Er ist ein Berliner Werber, jedenfalls war er das früher. Einer, der Hühner in Adler verwandelt. Einige seiner Slogans stehen im Lexikon der populärsten Werbesprüche. Turner ist der kluge Kopf dahinter. Und jetzt fragen sich 500 Kilometer entfernt in Stuttgart die gebeutelten Christdemokraten im Rathaus, in das im Herbst ein neuer Oberbürgermeister einziehen wird, ob er auch ein kluger Kopf davor sein könnte.

Denn Amtsinhaber Wolfgang Schuster tritt nach 16 Jahren im Amt nicht noch einmal an in jener Stadt, die ihren Bahnhof unter die Erde bringt und den Wutbürger auf die Palme. So wurde plötzlich und unerwartet Sebastian Turner zum möglichen OB-Kandidaten, auserkoren von dem CDU-Kreisvorsitzenden Stefan Kaufmann, der jemanden „mit Strahlkraft über CDU und das bürgerliche Lager hinaus“ wollte, einen „Stuttgart-Versteher“. So hatte er es in seinem Neujahrsbrief angekündigt. Soll also ein Werbemann ins wichtigste Rathaus des Landes Baden- Württemberg einziehen? Ein reing’schmeckter Gernegroß aus Berlin? Ohne Parteibuch und Verwaltungspraxis? Einer, der mit dem schönen Schein viele Scheine verdient hat?

Am Montag machte Turner erst mal Reklame in eigener Sache, stellte sich in Stuttgart den ersten Gremien der Partei vor, die ihn geworben hat. Bei einigen Zuhörern konnte er punkten. „Er ist ein guter Typ, der Stuttgart Denkweite geben würde“, sagt einer. „Er neigt ein bisschen zum Dozieren“, klagt dagegen ein anderer. Und bei der SPD heißt es ohnehin, in Zukunft gehe es wohl weniger darum, gute Politik zu machen, als vielmehr darum, sie gut zu verkaufen. Wo das hinführen solle?

Vielleicht geradewegs zu einem Oberbürgermeister, der der Stadt gut tut. „Stuttgart hat eine unvergleichliche Ausgangssituation“, schwärmt Turner. Unwiderstehlich für jemanden wie ihn. Ihr letztes großes Problem sei durch schlechte Kommunikation ausgelöst worden. Und Kommunikation, das kann er. „Hier kann sich eine ganz neue Bürgerkultur entwickeln.“

Sebastian Turner, der bleich ist auf den ersten Blick, hat eine Menge Farbe auf den zweiten. Das war immer so bei ihm. Turner war nie der typische Journalist und deshalb in seiner Jugend als Journalist sehr erfolgreich. Turner war nie der typische Werber und gerade deshalb später in der Branche ein Alphatier. Jetzt ist er 45 und will Rathauschef in Stuttgart werden. Auch dafür ist er nicht der typische Kandidat. Aber er weiß, wie man einen großen Laden führt, wie man Inhalte sucht und Botschaften daraus macht, wie man Umsatz und Grundsatz vereint. Jahrelang war Turner Chef der internationalen Agentur Scholz & Friends, einer Firma mit 1000 Mitarbeitern, Jahresumsätzen von mehr als hundert Millionen Euro und vielfach preisgekrönten Kampagnen wie jener, die nicht nur in Baden-Württemberg fast jeder kennt: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“

Turner kann sogar das, obwohl er seine ersten Lebensjahre bei den Schwaben in Stuttgart verbracht hat und später auch dort seine Frau fand. Sie studierte an der Filmakademie in Ludwigsburg. Inzwischen führt das Leben Regie, und die Turners sind eine Familie mit zwei Kindern, die in Berlin lebt und doch den Faden nach Stuttgart nie hat abreißen lassen. Turners Eltern haben bis heute eine Wohnung im Stuttgarter Osten, in der er bei seinen Reisen manchmal übernachtet, sparsam wie er ist. Sein Vater George Turner, Professor und ehemaliger Universitätspräsident, war in Berlin Wissenschaftssenator und ist bis heute Kolumnist für den Tagesspiegel.

Einmal stattete ihnen der Asta-Vorsitzende Winfried Kretschmann im Haus einen Besuch ab. Dabei hat sich der kleine Turner auf seinen Schoß gesetzt, was dieser bestätigt. Kretschmann ist heute Ministerpräsident in Stuttgart, wo sich ihre Wege nun wieder kreuzen. Der junge Turner begegnete auch dem Journalisten und Mitbegründer des Verbands deutscher Schriftsteller Hans Bayer alias Thaddäus Troll, dem er die Schuhe putzte und als Lohn Fußballbücher erhielt. Die haben in ihm den Wunsch geweckt, selbst zu schreiben. Mit 14 gründete Turner am Stuttgarter Karlsgymnasium eine Schülerzeitung, die wenig später zur besten in Deutschland gekürt wurde. Also fasste er das nächste Projekt ins Auge. Ein Magazin für Journalisten. So entstand das „Medium Magazin“, da war er gerade 18 Jahre alt. Er leitete es kurz darauf aus seinem Spind heraus. Als Bundeswehrrekrut ins nordische Heide verbannt, war er Herausgeber, Chefredakteur und Werbeleiter in einem.

Dem publizistischen Geschäft blieb Turner auch als Student der Politikwissenschaft in Bonn treu. Bei einem Seminar lernte er dort Thomas Heilmann – den heutigen Berliner Justizsenator – kennen. Turner erzählte einen Witz, der so schlecht war, dass sich alle mit Grausen abwandten. Nur Heilmann lachte. „Ein sehr guter Filter für gleiche Wellenlänge“, nennt Turner das im Rückblick.

Die beiden wurden Freunde, setzten ihr Studium in den USA fort und sahen unabhängig voneinander im November 1989 die Bilder des Mauerfalls. Dort wollten sie hin und sich selbstständig machen, notfalls mit einem Pizzaservice. Weil man für eine Agentur noch weniger Kapital benötigt, gründeten sie mit dem Grafiker Olaf Schumann die Werbefirma Delta Design. Schumann stammte aus dem Osten, war nach politischer Haft in den Westen verkauft worden und hatte in der Dresdner Wohnung seiner Eltern ein zwölf Quadratmeter kleines Kinderzimmer, das in den ersten Monaten Sitz ihres Unternehmens war. Anfangs hatten sie kein Telefon, und wenn sie Kontakte knüpfen wollten, wählten sie sich bei Freunden die Finger wund, weil es zu wenige Leitungen in den Westen gab.

In jener Zeit ist Sebastian Turner zu einem Menschen geworden, der weiß, wo er hin will. Das hatte vor allem mit Lore Schumann zu tun. Die kochte für ihren Sohn und seine Freunde und versorgte sie mit allerlei Weisheiten. „Wenn dir nicht gefällt, was du machst, wird es auch keinem anderen gefallen.“ Lores Regeln hingen später am Empfang ihrer Agentur. Sie gaben ihnen Halt in einer oftmals haltlosen Branche.

Die ersten größeren Kunden der drei aus dem Kinderzimmer waren nach langer Durststrecke eine Babypflegefirma, das Land Sachsen und die örtliche Zeitung, für die sie eine Anzeige gestalteten. „Ein Sachse“, stand unter dem Porträt von Sam Meffire, dem ersten schwarzen Polizisten im Biedenkopf-Land. Damit wurden sie bekannt.

In Dresden hat Sebastian Turner auch sein Barometer für Stimmungen justiert und sich darauf spezialisiert, die zu verändern. Die Stiftung zum Wiederaufbau der Frauenkirche hatte seine Agentur beauftragt, das Projekt zu vermarkten. In der Stadt gab es heftige Widerstände, sogar in der Kirche. Viele Dresdner wollten keinen Prachtbau, der so tut, als hätte es den Krieg nicht gegeben. Das Geld sei anderswo besser eingesetzt, hieß es in Leserbriefen, die Ruine müsse ein Mahnmal gegen den Krieg bleiben.

Turner sorgte auf seine Weise für den Meinungsumschwung: Er fragte bei britischen Zeitungen nach, ob sie einen Bomberpiloten kennen, der über Dresden geflogen ist. Im südenglischen Städtchen Hove spürte er Jeffrey Chapman auf. Der betagte Herr war dabei, als einst hunderte Flugzeuge die Elbe-Stadt in Schutt legten. Chapman trat für Aussöhnung ein und warb in Zeitungsanzeigen für Spenden zum Wiederaufbau. „I am rebuilding the church. I hated to destroy. Please join me.“ – „Ich baue die Kirche wieder auf, ich hasste es, sie zu zerstören, bitte machen Sie mit.“ Es hat geklappt. Aber seine Werberzeit ist für Turner Geschichte. Die internationale Agentur Scholz & Friends hat irgendwann Delta Design geschluckt – und wenig später haben die Shootingstars Heilmann und Turner die internationale Agentur übernommen. Lange her.

Vor einem Jahr hat Turner seine Anteile an Scholz & Friends verkauft. Seitdem ist er Privatier, finanziell unabhängig und nebenbei im Vorstand der Einstein-Stiftung, die Berliner Spitzenforschung fördert. Das allein füllte Turner nicht aus, und vielleicht kam es da gelegen, als im November der CDU-Kreisvorsitzende aus Stuttgart vor ihm stand, auf der Suche nach einem neuen Typus von Politiker, der in Mode gekommen ist und Quereinsteiger heißt.

Eine neue Idee. Eine neue Vision. Und vielleicht die Chance, etwas zu schaffen, das wahrhaftiger ist als ein Werbespruch. Etwas zu tun, das einem keiner zutraut. Das reizt Turners Ehrgeiz.

Am 17. März entscheidet der CDU-Kreisparteitag. Turner muss bis dahin die Basis überzeugen, dass er eine Alternative ist zu Lokalpolitikern aus den Lagern einer Landespartei, die sich seit langem befehden. Turner hat gewichtige Fürsprecher unter den Christdemokraten, die bei der Landtagswahl verloren haben und das Verlieren nicht gewohnt sind. Aber es wird auch noch andere Kandidaten geben, und andere Leute, die hinter den anderen Kandidaten stehen.

Aus Hühnern werden nicht immer Adler. Manchmal werden sie auch gerupft und landen in der Suppe. Sebastian Turner weiß das. Versuchen will er es trotzdem. „Allein, dass es passen könnte“, sagt er, „ist das Risiko wert, dass es nicht passt.“

Michael Ohnewald

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