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Entscheider bleiben vor allem Westdeutsche: Der Anteil Ostdeutscher in Führungspositionen steigt leicht – doch nicht in allen Bereichen
Insgesamt steigt der Anteil Ostdeutscher in Führungspositionen leicht. Doch bei einem Blick auf einzelne Bereiche relativiert sich das Bild. Und: Vor allem zur Leitungsebene fehlt ihnen oft der Zugang.
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Der Anteil von Ostdeutschen in Führungspositionen ist seit 2018 insgesamt leicht gestiegen – zwischen den Sektoren gibt es aber erhebliche Unterschiede: In der Politik lag der Anteil im vergangenen Jahr bei 21,4 Prozent, in der Verwaltung stieg er auf fast 13 Prozent.
In Wirtschaft und Kultur dagegen sank der Anteil: In der Wirtschaft ging er von rund fünf Prozent 2018 auf vier Prozent 2024 zurück, in der Kultur von über neun auf unter sieben Prozent. Beim Militär sind Ostdeutsche in Führungspositionen weiter gar nicht vertreten. Insgesamt erhöhte sich der Anteil Ostdeutscher seit 2018 von 10,9 Prozent auf 12,1 Prozent 2024.
Das geht aus Zahlen hervor, die die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Elisabeth Kaiser (SPD), am Freitagnachmittag vorstellen wollte und die dem Tagesspiegel vorab vorlagen. Für den sogenannten Elitenmonitor wurden 3000 Führungspositionen in zwölf Bereichen untersucht. Der Anteil Ostdeutscher liegt bei etwa 20 Prozent der Bevölkerung.
Kaiser verwies in einer Vorab-Pressemitteilung auf den Erfolg von Förderprogrammen: Die Bundesregierung hatte sich 2022 verpflichtet, den Anteil Ostdeutscher in Führungspositionen in der Bundesverwaltung zu steigern. In diesem Bereich kletterte der Anteil von knapp 14 Prozent im Jahr 2022 auf aktuell 15,5 Prozent.
„Ich bin überzeugt, Vielfalt in der Gesellschaft, aber auch in Unternehmen und Chefetagen macht den Erfolg unseres Landes aus“, sagte Kaiser. „Repräsentanz schafft Akzeptanz, das gilt für alle Bereiche, aber insbesondere für Politik und Verwaltung.“
Die Bundesregierung bekenne sich klar dazu, den Anteil von Ostdeutschen in den Führungspositionen zu steigern. „Dafür müssen wir noch stärker für das Thema sensibilisieren und Strategien entwickeln, die darauf hinwirken, dass mehr Ostdeutsche in Führungspositionen kommen.“
Denn bei einem genaueren Blick auf den Anteil Ostdeutscher in der Bundesverwaltung relativiert sich das Bild. Waren es in der obersten Leitungsebene 2022 noch 6,8 Prozent, sind es derzeit nur noch 4,5 Prozent. Rechnet man Berlin heraus, sind es aktuell sogar lediglich 1,9 Prozent (2022: 3,7 Prozent).
Auch auf der Ebene der Abteilungsleitungen hat sich fast nichts getan. Da lag der Anteil Ostdeutscher 2022 bei 8,7 Prozent, inzwischen sind es 8,8 Prozent. Erst bei den mittleren Führungsebenen steigt der Wert, ohne Berlin bleibt er jedoch – ausgenommen die unterste Führungsebene, die der Referentinnen und Referenten – im einstelligen Bereich.
Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) wertete zudem abseits der Erhebung der Bundesregierung Daten von über 50.000 Beschäftigten in 73 von 104 Bundesbehörden aus. Demnach sind Ostdeutsche hier mit einem Anteil von 23,9 Prozent „sehr gut vertreten“. Doch auch hier ergibt sich ein anderes Bild beim Blick auf die einzelnen Ebenen. Im höheren Dienst etwa haben demnach nur 4,9 Prozent der Ostdeutschen eine Führungsposition.
„Im direkten Vergleich haben Ostdeutsche gegenüber Westdeutschen schlechtere Chancen als Führungskraft im höheren Dienst beschäftigt zu sein“, heißt es im Bericht des BIB. Zudem seien Ostdeutsche als Führungskräfte häufiger in Positionen tätig, in denen sie selbst einer weiteren Führungskraft unterstellt sind, während westdeutsche Beschäftigte häufiger herausgehobene Personalverantwortung tragen.
Dieser Unterschied bestehe auch bei jüngeren Beschäftigten – für das BIB „ein Hinweis darauf, dass die ungleiche Repräsentanz von Ostdeutschen in Führungspositionen in Westdeutschland ein anhaltendes strukturelles Problem darstellt, auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung“.
In Behörden mit Sitz in Ostdeutschland einschließlich Berlin stammen demnach rund 67 Prozent der Führungskräfte aus Westdeutschland. „Der bevorstehende Ruhestand vieler Führungskräfte und die zunehmende Ansiedlung von Bundeseinrichtungen in Ostdeutschland bieten die Chance, die Repräsentation ostdeutscher Beschäftigter weiter zu verbessern“, erklärte Sophie Straub vom BIB.
Nur ein Teil der ostdeutschen Befragten sieht laut der BIB-Befragung noch Handlungsbedarf. 22,2 Prozent nannten die Förderung von Diversität und den Abbau von Diskriminierung wichtig bis sehr wichtig. Bei den westdeutschen Befragten waren es 6,8 Prozent.
Die Gründe für die Unterrepräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen sehen Forschende unter anderem in Netzwerkeffekten. Eliteposten würden selten offen ausgeschrieben, sondern über Netzwerke und gezielte Ansprache vergeben. Dafür müsse man solchen Netzwerken angehören, doch „unter Ostdeutschen ist der Anteil von Personen, die von etablierten Strukturen in ihrem räumlichen Umfeld, Feldwissen und Sozialkapital profitieren, geringer als unter Westdeutschen“, heißt es im Elitenmonitor.
Hinzu kämen „historische Faktoren wie die deutsche Zweiteilung mit unterschiedlichen Ausbildungswegen und Karrierelogiken sowie die extrem starken Effekte der Nachwendezeit auf individuelle Karriere- und Aufstiegsbiografien“. Bei gleichbleibendem Tempo, schreiben die Forschenden, wäre die Unterrepräsentation Ostdeutscher erst in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts verschwunden. (mit AFP)
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