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Politik: Wie sie uns bewegen

Eine(r) fehlt noch, dann hat George W. Bush seinen Platz in Amerikas Geschichtsbüchern sicher: Als der Präsident, der drei Jahrzehnte libertärer Irrtümer korrigiert und das Oberste Gericht der USA wieder konservativ ausrichtet.

Eine(r) fehlt noch, dann hat George W. Bush seinen Platz in Amerikas Geschichtsbüchern sicher: Als der Präsident, der drei Jahrzehnte libertärer Irrtümer korrigiert und das Oberste Gericht der USA wieder konservativ ausrichtet. Samuel Alitos Bestätigung als Oberster Richter durch den Senat, vermutlich schon am heutigen Dienstag, kann Amerikas Geist stärker verändern als der Irakkrieg. Und damit auch viele Debatten in Deutschland.

Epochal ist der gleichzeitige Führungswechsel an der Zentralbankspitze. Dort wünschen sich die US-Bürger möglichst wenig Wandel. Die knapp zwei Jahrzehnte unter Alan Greenspan bleiben als Ära der Stabilität in Erinnerung, trotz Börsencrashs, Asienkrise, dem Absturz der „New Economy“ und der weltweiten Rezession nach den Terrorangriffen 2001. Jedes Mal gelang eine relativ weiche Landung. Dank eines dynamischen Wachstums stand Amerikas Ökonomie nach wenigen Jahren strahlender da als zuvor – und sicherte auch Arbeitsplätze bei BMW, Mercedes, Audi und Porsche.

Der Supreme Court mag ziemlich weit weg von Europa erscheinen. Und wer in Deutschland denkt beim Blick auf die privaten Finanzen an den US-Notenbankchef? Amerikas Geist und Geld haben jedoch beträchtlichen Einfluss auf die Zukunft der Deutschen, im Guten wie im Schlechten. Unter Greenspan wuchs die US-Wirtschaft um durchschnittlich 3,5 Prozent pro Jahr, mehr als doppelt so stark wie die deutsche. Während die Deutschen sich wegen der Sorgen um Job und Alterssicherung beim Kaufen zurückhalten und viel sparen, beschert die ungebremste Konsumfreude auf dem kaufkräftigsten Markt der Welt vielen deutschen Firmen einen erträglichen Absatz. Die Kehrseite ist ein hohe private wie öffentliche Verschuldung in den USA. Sollte der Dollar in die Knie gehen, würde Europa die Folgen unmittelbar spüren.

Auch Amerikas juristische Streitfragen hallen in Deutschland nach. Das Schicksal der Koma-Patientin Terry Schiavo entfachte eine Debatte um Sterbehilfe. Die Urteile über die Rechte der Gefangenen in Guantanamo oder die Kriegsvollmachten des Präsidenten haben Auswirkungen auf die US-Außenpolitik und das Verhältnis des Westens zur muslimischen Welt. Die Vorgaben zur Gentechnik setzen weltweit Maßstäbe für Forschung und Anwendung.

Es war eines der wichtigsten Wahlversprechen Bushs – und eines der am wenigsten beachteten in Europa: das Justizwesen ideologisch umzukrempeln. Liberale Richter haben in den 70er Jahren der Bürgerrechtsbewegung zum Durchbruch verholfen und in den 90ern die Minderheitenrechte ausgebaut. In der US-Gewaltenteilung schlägt der Präsident die Obersten Richter vor, der Senat muss sie bestätigen – auf Lebenszeit, damit sie unabhängig sind. Tatsächlich haben Richter ihre Präsidenten oft enttäuscht. Ronald Reagans Kandidatin Sandra O’Connor urteilte liberaler als erwartet.

Zwei Neubesetzungen hat Bush bereits gemeistert. Als der erzkonservative William Rehnquist im Sommer 2005 starb, wurde der liberalkonservative John Roberts Vorsitzender des Supreme Court. Nun ersetzt Samuel Alito die liberale Sandra Day O’Connor, die aus Altersgründen zurücktrat, womit das Grüppchen der stramm Konservativen an dem neunköpfigen Gericht auf drei wächst: neben Alito Antonin Scalia und Clarence Thomas. Noch ist die Mehrheit im Zweifel liberal. Doch weitere Vakanzen sind in den drei Jahren, die Bush bleiben, absehbar. John Stevens ist 86, Ruth Ginsburg 73, Antonin Scalia und Anthony Kennedy werden in diesem Jahr 70.

Substanzielle Folgen hätte eine rechte Mehrheit weniger für den Schwangerschaftsabbruch; das ist eine laute Scheindebatte; die Abtreibungsfreiheit ist nicht bedroht; Roberts und Alito haben zudem versprochen, bisherige Urteile zu respektieren. Doch „konservativ“ hieße, zum Beispiel, im Zweifel für die Regierungsfreiheit des Präsidenten und gegen die Bürgerrechte. Das liberale Amerika läuft Sturm gegen Alito, aber die Mehrheit der Bürger ist für ihn. Die Stimmung im Land hat sich nach rechts verschoben – mit Folgen auf Jahrzehnte. Bush geht 2008. Seine Richter bleiben: lebenslänglich.

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