zum Hauptinhalt

Politik: „Wir haben eine ganze Generation verloren“

Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Laschet über Defizite im Umgang mit Zuwanderern – und was wir daraus lernen können

Herr Laschet, haben Sie schon den umstrittenen Film „Tal der Wölfe“ gesehen?

Ja, in Düsseldorf in einem Bahnhofskino, zusammen mit einer türkischsprachigen Mitarbeiterin.

Und würden Sie den Film gerne in Deutschland verbieten lassen, so wie Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber?

Ich bin nicht sicher, ob er ihn verbieten lassen wollte. Es wäre keine gute Idee. Dann würden die Leute zu Recht auf die Straße gehen und demonstrieren. Es wäre doch doppelzüngig, wenn wir im Streit um Karikaturen für Pressefreiheit eintreten, aber einen solchen Film verbieten.

Wie wollen Sie denn in Nordrhein-Westfalen dafür sorgen, dass Zuwanderer besser integriert werden?

Für Kinder ist es wichtig, dass sie nicht nur auf dem Schulhof, sondern auch zu Hause Deutsch sprechen. Deshalb müssen wir die Mütter erreichen. Das Problem ist: Keine türkische Mutter geht zur Beratung in die katholische Familienbildungsstätte. Deshalb verlagern wir in Nordrhein-Westfalen die Familienberatung in die Kindertagesstätten. Die Erzieherin merkt dann eher, ob die Eltern Beratung brauchen. Und wir setzen auf frühere Sprachförderung. Wir ziehen die Schuleingangsuntersuchung auf das 4. Lebensjahr vor, bisher wurden Kinder erst mit sechs Jahren untersucht. Wenn sie dann kein Deutsch konnten, wurden sie ein halbes Jahr in einen Crash-Kurs geschickt. Das können Sie mit Managern machen, aber nicht mit Kindern.

In der zweiten und dritten Generation gibt es viele, die nicht integriert sind. Kann man daran noch etwas ändern?

Wir haben eine ganze Generation verloren. Es war eine Lebenslüge zu glauben, dass Integration von selbst funktioniert. Uns bleibt aber nichts anderes übrig, als uns um die Integration dieser Menschen zu kümmern. Sie bleiben schließlich hier in Deutschland. Wir brauchen jeden, wenn demnächst die Hälfte der Menschen in Deutschland über 60 Jahre alt ist. Wir können uns nicht leisten, dass ganze Jahrgänge von Zuwanderern unausgebildet in die Sozialsysteme abrutschen.

Was passiert mit der verlorenen Generation?

Die 20-Jährigen können noch qualifiziert und an den Arbeitsmarkt herangeführt werden. Von ihnen kann man erwarten, dass sie Deutsch lernen und dass sie sich um ihre Eltern kümmern.

Werden die Integrationsangebote angenommen?

Sicher. Integration ist ein mühsamer Prozess. Wichtig ist, dass beide Seiten sich beteiligen: Die eine Seite darf nicht ausgrenzen, die andere sich nicht abgrenzen. Wir können Brücken bauen, wenn wir den Menschen signalisieren: Wir brauchen euch in dieser Gesellschaft. Lange haben wir Zuwanderern nicht das Gefühl vermittelt, dass sie gewollt sind – das gilt für die gesamte Gesellschaft, auch für meine Partei, die CDU. Erst seit gut einem Jahr haben wir ein Zuwanderungsgesetz, das Integration als Aufgabe festschreibt. Die Union hat lernen müssen: Wir sind eine multikulturelle Gesellschaft. Die Linke hat lernen müssen, dass Multikulti nicht nur nett und bunt ist, sondern dass man auch Anforderungen formulieren muss.

Forciert die Union mit der Debatte über Leitkultur nicht wieder die Ausgrenzung?

Die deutsche Leitkultur als Begriff habe ich immer für falsch gehalten. Was soll ein deutscher Wert sein? Wenn, dann muss man von europäischen Werten sprechen, von einer gemeinsamen Leitkultur. Es hilft nicht, wenn die Mehrheitsgesellschaft den Zuwanderern sagt: Das müsst ihr akzeptieren, dann seid ihr dabei. Wenn sie sich mit unserem Land identifizieren sollen, müssen sie auch die Chance bekommen, einen eigenen Beitrag zu einem gemeinsamen Wertekanon zu leisten. Wir können von Zuwanderern etwa lernen, wie Generationen respektvoll miteinander umgehen oder wie Familien zusammenhalten. Wir brauchen deshalb eine Debatte über eine gemeinsame Leitkultur in unserem Land.

Das Interview führten Robert Birnbaum und Cordula Eubel.

Armin Laschet (45) ist seit Juni 2005 Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration in Nordrhein-Westfalen. Zuvor war der Aachener CDU-Politiker Europaabgeordneter.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false