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H. Seng ist mit ihren fünf Kindern und ihrem Mann nach Laiza geflohen.

©  Ranir

Birma: "Wir können nicht weg"

Birmas neue Führung wird gefeiert, die Kachin aber trauen ihr nicht. Sie leben seit einem Jahr wieder im Krieg.

„Zu Hause ist es immer besser, aber wir können nicht nach Hause gehen. Wir hören immer Schüsse. Meine Kinder sind böse auf mich, dass ich sie hierher gebracht habe.“

Laiza – es klingt wie ein schöner Mädchenname, aber Laiza ist ein Ort mitten im Bürgerkrieg. Das Städtchen liegt im Norden Birmas direkt an der chinesischen Grenze, wo die Kachin seit Jahrzehnten mehr Unabhängigkeit von der Zentralregierung fordern. Früher war Laiza ein Nest mit gerade mal 20 Haushalten. Es ist der Heimatort von La Rip, der dorthin auch nach einer Armeeoffensive gegen die Kachin-Rebellen im Jahr 1987 wieder floh, ein Vertriebener im eigenen Land. La Rip erinnert sich noch gut, wie es damals war: „Es gab weder nationale noch internationale Hilfe. Wir haben uns mit Wanderfeldbau, Früchtesammeln, Jagen, Fischen und Goldwaschen durchgeschlagen.“ 1994 schlossen Armee und Rebellen nach insgesamt bereits 33 Jahren Kampf einen Waffenstillstand. La Rip studierte Politik in Indien, kam wieder zurück . Laiza entwickelte sich zu einer kleinen Handelsstadt. Vor gut einem Jahr brach der Waffenstillstand mit der Regierung, die Kachin fühlten sich mehrfach von deren Armee provoziert. Seither kämpft die Kachin Independence Army wieder – rund um Laiza gibt es täglich Gefechte.

70 000 Menschen flohen aus ihren Dörfern, 20 000 davon in die Städte der Region, die anderen leben in Camps für Vertriebene im eigenen Land, sogenannte IDPs (Internally Displaced Persons). „Wir sind nicht vorbereitet, wir haben nichts in der Hand, um mit dieser Krise umzugehen“, beschreibt La Rip die Lage. „Zu unserer eigenen Überraschung haben wir einfach ein Freiwilligenteam mit Jugendlichen gebildet, als plötzlich all die Vertriebenen in unsere Stadt kamen. Sie hatten nichts dabei als das, was sie am Leib hatten, ihre Kinder und etwas zu essen. Die meisten sind zwischen den Kämpfen geflohen, sie kamen nach stundenlangen Märschen durch die Berge und den Dschungel völlig durchnässt hier an.“ Nach einigen Wochen haben zwölf Gruppen von lokalen Helfern die Organisation Ranir gegründet, um die Hilfe in den Camps zu koordinieren. La Rip ist ihr Chef.

Die 34-jährige H. Seng, Mutter von fünf Kindern, wohnt in einer Hütte im Lager Jeyang. Allein dort sind 7000 Menschen untergekommen. Sie kommt mitten aus der Kampfzone und hat Mitarbeitern von Ranir ihre Geschichte erzählt, sie ist typisch für die Menschen in den Camps: „Ich bin am 13. Juni 2011 mit meiner Familie aus unserem Dorf Numlang geflohen, als die Kämpfe losgingen. Zuerst haben wir bei Verwandten in Laiza Unterschlupf gefunden, aber das war eine zu große Last für sie. Im September sind wir ins Camp Jeyang gezogen. Wir sind schon mehr als ein Jahr von zu Hause weg und hatten seither keine Chance, zurückzugehen. Mit dem Vater sind wir sieben, ein Sohn, vier Töchter, die jüngste noch im Vorschulalter. Ich habe große Angst um meine Familie. Wir sind immer in Alarmbereitschaft, wir hören immer Schüsse und das Artilleriefeuer der Regierungstruppen. Ich überlege ständig, wohin wir noch gehen könnten, aber wir sind eine so große Familie.

Ich vermisse mein Heim so sehr. Zu Hause ist zu Hause. Zu Hause ist es immer besser, egal in welchem Zustand das Haus dort ist. Wir hatten gedacht, wir bleiben nur kurz hier im Lager und kehren spätestens nach zwei oder drei Monaten zurück. Aber jetzt ist es schon länger als ein Jahr her, dass wir fliehen mussten. Wir sehen im Moment keine Aussicht auf die Rückkehr zu einer normalen Situation wie vorher. Die Zukunftsaussichten für die Kinder sind auch sehr schlecht. Selbst wenn die Lage sich normalisiert und wir nach Hause zurückkehren, wird es sehr schwer werden, unser Leben neu aufzubauen. Wir wissen nicht einmal, ob unser Haus noch steht.

Hier im Camp bekommen wir ab und zu Unterstützung von den lokalen Hilfsorganisationen, Reis, Seife, etwas Kleidung, Bücher und Stifte für die Schüler. Wir müssen im Camp auch keine Schulgebühren zahlen, aber die meisten Ausgaben müssen wir selbst tragen. Das ist schwierig, weil es hier fast unmöglich ist, Geld zu verdienen. Mein Mann macht Körbe aus Bambus, die verkaufen wir, so haben wir manchmal Kerzenlicht, damit die Kinder abends lernen können. Bei aller Anstrengung kommt so nur wenig Geld zusammen. Die Älteste geht auf die öffentliche Schule in Myo Thit, aber sie braucht für die Schulgebühren umgerechnet 250 US-Dollar im Jahr. Wir können sie nicht unterstützen, solange wir hier im Camp leben, aber das zahlt auch keine Hilfsorganisation. Ich bin mit meinem Latein am Ende, wie es weitergehen soll.

Sechs Dollar am Tag, für zwölf Stunden Arbeit.

Manchmal helfen uns unsere Verwandten. Zwischendrin kann ich auch mal auf einer chinesischen Bananenplantage Unkraut jäten. Da bekomme ich sechs Dollar am Tag, für zwölf Stunden Arbeit. Aber dieses Angebot gibt es nur selten. Ich koche dann morgens früh für die Kinder. Unser Feuerholz sammeln wir im Wald. Wir bekommen im Lager Reis, aber alles andere müssen wir auf dem Markt kaufen. Das Gemüse dort kommt aus China, sie benutzen Pestizide und chemischen Dünger, es ist nicht so frisch wie bei uns zu Hause. Fleisch ist viel zu teuer, wir haben seit einem Jahr keins mehr gegessen. Wir haben Hühner zu Hause, Früchte und Gemüse. Ich vermisse all das. Aber ich kann nicht hingehen und etwas holen, da wird geschossen.

In unsere Hütte hier regnet es rein, weil die Dachplane kaputt ist. Es ist Regenzeit, und dieses Jahr regnet es stark. Unsere Hütte ist ständig nass, das ist nicht angenehm zum Leben. Auch unser Moskitonetz ist kaputtgegangen, ich habe es geflickt, aber wenn es nachts regnet, können wir nicht schlafen. Im Camp ist es auch nicht besonders sauber, wir haben nur 28 Toiletten für 974 Menschen in unserem Block, und sie stehen nah an unserer Hütte. Überall sind Fliegen. Die Leute waschen sich an der gleichen Wasserstelle, wo wir unser Trinkwasser holen. Meine Kinder haben ständig Durchfall, sind erkältet, husten. Das hatten sie zwar zu Hause auch öfter, aber hier ist es sehr ernst geworden. Es gibt zwar eine Klinik, aber wir müssen die Medizin auf dem Markt kaufen. Meine Kinder sind böse auf mich, dass ich sie hierher gebracht habe.“

La Rip und seine Leute versuchen, H. Seng und all den anderen zu helfen, aber sie stoßen an ihre Grenzen. Internationale Hilfe gibt es nach den Worten von La Rip bis heute so gut wie nicht. Im Dezember und im März seien zwei UN-Konvois gekommen, mit Hilfe für einen Bruchteil der IDPs, und sie ging vor allem in die größeren Städte, wo die Lage ohnehin besser sei. Die ersten internationalen Helfer mokierten sich auch noch über die Standards der lokalen Helfer. Die waren ziemlich enttäuscht, zumal die internationalen „kein Problem mit der neuen sogenannten demokratischen Regierung hatten“. Auf die aber sind die Kachin nicht gut zu sprechen. Die Sicherheitslage, vor allem aber die Regierung, sei auch jetzt schuld daran, dass internationale Hilfe nicht zu den Leuten in Laiza komme, weil die Regierung ihnen den Zugang verweigere.

Viele Kachin lehnen, anders als manch andere Ethnie, einen neuen Waffenstillstand ab, wenn ihnen nicht vorher bestimmte Rechte zugesichert werden. Schon während des 17 Jahre dauernden Waffenstillstands bis 2011 habe sich nichts für sie verbessert. Unter der neuen Regierung habe die Armee neue Kämpfe vom Zaun gebrochen und sende immer mehr Truppen, klagen sie. Den Ankündigungen zu Friedensgesprächen trauen sie nicht. Offenbar setzte sich der lokale Kommandeur über die von Präsident Thein Sein verkündete Waffenruhe hinweg, viele Kachin sind daher der Ansicht, das Militär habe keineswegs abgedankt. Den von der Welt gefeierten Wandel in Birma gebe es für die oft christlichen Kachin nicht. La Rip sagt: „Die Demokratisierung betrifft wohl nur die Birmanen. Das ist eine Diktatur der Mehrheit. Die Minderheit will aber auch eine Stimme.“ Die Kachin fordern politische Mitsprache, das Recht auf ihre eigene Sprache, wirtschaftliche Möglichkeiten und soziale Einrichtungen. „Der einzige Weg ist ein politischer Dialog mit internationalen Zeugen, der dann in einen Vertrag münden kann“, sagt La Rip. „Ohne politische Diskussion gibt es keine Lösung.“Richard Licht

Richard Licht

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