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Farbenspiele: Was kommt nach der Wahl in Hessen?

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Landtagswahl in Hessen: Wird in Hessen das Ende der Volksparteien besiegelt?

Heute stimmen die Hessen über einen neuen Landtag ab. Ihr Votum könnte weit über das Bundesland hinaus Bedeutung haben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Hessen! Ein Land, das geradezu ein Schicksalsland der Bundesrepublik ist. Die Wahl an diesem Sonntag entscheidet über künftige und bestehende Konstellationen, Koalitionen auch. Alles neu? Vielleicht – so viel steht immerhin fest. Und darin liegt die Spannung: Danach ist alles möglich.

So wie 1985, als Joschka Fischer, der damals noch mit Turnschuhen in den hessischen Landtag kam, erster grüner Staatsminister für Umwelt und Energie wurde. In einer Koalition mit dem Sozialdemokraten Holger Börner aus Kassel, der als gelernter Polier vorher noch die Demonstrationen gegen die Startbahn West auf dem Frankfurter Flughafen wie einst mit dem Schwingen der Dachlatte regeln wollte. Es war die erste Konstellation dieser Art, sie hielt zwei Jahre.

1998 kam sie dann im Bund an, Gerhard Schröder wurde Kanzler, Joschka Fischer Vizekanzler und Außenminister. Und ein Jahr später kam der bisherige hessische sozialdemokratische Ministerpräsident Hans Eichel, auch er hatte mit den Grünen regiert, als Bundesfinanzminister.

Lange galt Bouffier nicht nur als konservativ, sondern als rechts

Aus Rot-Grün ist Schwarz-Grün geworden, an der Spitze mit Volker Bouffier, einem der Vizevorsitzenden der CDU und damit Stellvertreter Angela Merkels. Lange galt Bouffier nicht nur als konservativ, sondern als rechts, bis er auf Fischers politischen Enkel Tarek Al-Wazir traf. Der wurde weniger links als in den Jahren zuvor und ein wenig wirtschaftsliberal, Bouffier wurde umweltpolitisch linker und traf sich mit den Grünen im Wirtschaftsliberalen. So wirken die beiden zusammen in der Koalition wie Firmen-Senior & Junior. Und geben ein freundliches Bild ab.

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Da ist es schwer für den SPD-Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel, mit seiner kritischen Sachbilanz durchzudringen. Zum Beispiel beim Thema Diesel. Selbst seine Rolle als Vizevorsitzender der SPD im Bund, die er genutzt hat für allseits als vernünftig bezeichnete Vorschläge zum Thema Wohnen, macht es nicht leichter – zumal nicht nach der vorangegangen Wahl in Bayern. Denn dort hatte Spitzenkandidatin Natascha Kohnen das Thema Wohnen übernommen und damit nicht gepunktet.

Die Volksparteien verlieren ihren Nimbus und Prozentpunkte

Seither ist im Bund Alarm. Bei der SPD, weil Angst vor weiteren grauenhaften Ergebnissen grassiert – in Bayern war es das schlechteste je bei einer Landtagswahl –, aber auch bei der Union, in Hessen repräsentiert von der CDU. Denn die Schwester CSU hat jetzt auch der Morbus Normalität eingeholt: Die Volksparteien verlieren ihren Nimbus und Prozentpunkte. Nur durch außergewöhnliche Performance ihrer Spitzenkandidaten erreichen sie in ihren Hochburgen noch mehr als 35 Prozent. Von Hochburg kann in Hessen nicht mehr die Rede sein, weder für CDU noch SPD. Die Zeiten der Börners, Dreggers, Wallmanns, Kochs sind lange her.

Und die Grünen? Sind noch nicht so weit – sagen die anderen. Dabei kommen sie gerade in allen Bundesländern groß auf, ihre Prozentpunkte steigen bis in den Bereich, dass sie bald Volkspartei genannt werden können. Im Bund liegen sie schon deutlich vor der SPD, in Hessen fehlt nicht mehr viel.

Alles schaut gespannt auf Hessen

Und so schaut alles gespannt auf Hessen – denn am Ende kann das Land als erstes auch diese neue Konstellation erleben: eine Mehrheit links der Mitte gegen die CDU, womöglich noch dazu unter Führung der Grünen, aber unter Einschluss der Linkspartei. Das wäre für manche in der SPD wahrscheinlich eine Option – und gewiss für die eher linke SPD in Hessen-Süd. Erinnert sich noch jemand an die verhinderte linke SPD-Regierungschefin Andrea Ypsilanti? Für die Bundes-SPD unter der glücklosen Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles wartet hier die nächste Zerreißprobe.

Auf die CDU aber auch. Dann hätte es ja nicht nur Volker Bouffier nicht geschafft, die Partei an der Macht zu halten – er hätte sie als Merkels Mitstreiter und unter Merkels Mithilfe verloren. Die Kanzlerin, die ohnedies gerade um alles kämpft, ihr Amt, ihre Partei, müsste den Vorwurf aushalten, dass die CDU mit ihr nichts mehr gewinnen kann. 25 Prozent sind es inzwischen nur noch für die Union aus CDU und CSU im Bund, das heißt, die CDU liegt auf SPD-Kurs: unter 20 Prozent.

Sogar Friedrich Merz ist schon genannt worden

Sich auf Inhalte zu konzentrieren, das hat die SPD schon erfahren, wird nicht belohnt. Die Umsetzung von Kernanliegen wie bessere Kitas, bessere Weiterbildung, stärkere Beteiligung von Arbeitgebern an Kassenbeiträgen und das Recht auf Rückkehr in Vollzeit – angerechnet wird es nicht ihr. Merkel aber auch nicht mehr.

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Und weil sie an Themen nichts Vergleichbares vorzuweisen hat wie die SPD in der Bundeskoalition, wird im Hintergrund schon diskutiert, wer die Vorsitzende in der CDU ersetzen könnte. Sogar Friedrich Merz ist schon genannt worden, ernsthaft, was zeigt, wie ernst die Lage für Merkel ist. Und für die Groko gleich mit.

Schlag 18 Uhr – danach ist alles neu?

Immerhin einer redet offen, im aktuellen „Cicero“: der Brandenburger Ingo Senftleben. Als erster CDU-Landesvorsitzender spricht er über einen Wechsel an der Spitze von Bundesregierung und Bundes-CDU. Und sagt, was die meisten anderen denken – dass es darum geht, den Wechsel ohne den Verlust des Kanzleramts für die CDU zu organisieren. Aber: „Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden“, schrieb der Revolutionär Georg Büchner. Ein Hesse.

Hessen! Ein Schicksalstag im Schicksalsland. Die Spannung steigt. Schlag 18 Uhr – danach ist alles neu? Vielleicht. Aber sicher nur die Legislaturperiode.

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