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Wolfgang Pohrt, Sozialwissenschaftler und Publizist. Das Foto ist schon etwas älter.

© promo

Wolfgang Pohrt, Gesamtausgabe: Denker, Solitär, Querulant

Mehr als 40 Jahre lang hat Wolfgang Pohrt die deutsche Gesellschaft seziert. Nicht den Beifall von der falschen Seite fürchtete er, sondern Beifall überhaupt. Eine Rezension

Als Präsident der „Aristotelian Society“ hielt Karl Popper im Oktober 1958 in London eine Rede mit dem Titel „Back to the Presocratics“ (Zurück zu den Vorsokratikern). Darin legte er dar, warum kluge, falsche Theorien für den Erkenntnisfortschritt meist äußerst wichtig sind. Sie fordern zum Denken und Argumentieren heraus, bilden die Grundlage einer kritischen Diskussion. Die Vorsokratiker hätten mit wilden Mutmaßungen zwar nie eine ideologische Schule begründet, dafür aber eine Methode der Rationalität.

200 Jahre zuvor hatte Gotthold Ephraim Lessing das so ausgedrückt: „Ich bin nicht verpflichtet, die Schwierigkeiten aufzulösen, die ich mache. Meine Gedanken mögen sich immer weniger verbinden, ja wohl gar sich zu widersprechen scheinen: wenn es denn nur Gedanken sind, bei welchem (die Leser) Stoff finden, selbst zu denken.“

In dieser Tradition steht Wolfgang Pohrt. Als die Friedensbewegung entstand, nannte er sie eine „deutschnationale Erweckungsbewegung“. Im Zweiten Golfkrieg meinte er, dass Israel auf irakische Giftgasangriffe atomar antworten soll. Den Krieg gegen Serbien lehnte er ab. Die Wiedervereinigung („Gemeinsam sind wir unausstehlich“) ließ ihn eine Wiederbelebung des Fremdenhasses erahnen. Später vertrat er die Ansicht, die Gefahren von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit würden aufgebauscht. Und als das Abendland begann, den Islam zu entlarven, schrieb er: „Mit der Scharia kenne ich mich nicht so gut aus. Ich weiß nur so viel: Wenn ein Idiot heute weder von Religion noch von Politik und auch sonst keine Ahnung hat – von der ,Scharia’ quasselt er immer. Wenn es um den Islam geht, ist jeder Dorftrottel plötzlich Spezialist für Glaubensfragen, Orientalistik und Islamwissenschaft, ja sogar für Arabisch.“

Mehr als 40 Jahre lang hat Pohrt die deutsche Gesellschaft seziert. Nicht den Beifall von der falschen Seite fürchtete er, sondern Beifall überhaupt. Ein Denker, ein Solitär, ein Querulant – und ein glänzender Stilist, der Sätze schrieb, die tiefer gingen als bis ins Mark. Dabei stets souverän, nie verbohrt. Sein Verleger, Klaus Bittermann, hat beschlossen, Pohrts gesammelte Reden und Schriften in einer Werkausgabe neu herauszubringen. Von den insgesamt elf Bänden ist soeben der zehnte erschienen („Kapitalismus forever“). Wer Angst um sein Weltbild hat, sollte die Finger davon lassen.

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