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Arbeiten im Akkord und unter teilweise unwürdigen Bedingungen. Oxfam setzt sich für Arbeiter ein wie diese Traubenpflücker in Südafrika ein.

© Gerald Haenel/laif

World Food Convention: Im Supermarkt kauft man zu oft Ausbeutung

Weltweit leiden Menschen, die Lebensmittel für unsere Supermärkte herstellen, unter schlechten Bedingungen. Das muss nicht sein. Ein Gastbeitrag.

Marion Lieser ist Vorstandsvorsitzende von Oxfam Deutschland e. V. Die internationale Nothilfe- und Entwicklungsorganisation mobilisiert Menschen weltweit, Armut aus eigener Kraft zu überwinden und Ungleichheit zu beenden.

Tausende von Produkten, Siegel aller Arten, Nährstoffangaben und Aktionspreise: Ein typischer Supermarkteinkauf bedeutet Reizüberflutung. Die meisten von uns sind froh, wenn sie am Ende wenigstens den Einkaufszettel abgehakt haben. Wer versucht, sich im Dschungel der Siegel und Herkunftsbezeichnungen zurechtzufinden und halbwegs nachhaltig einzukaufen, verlässt den Laden meist mit einem unguten Gefühl. Zu Recht?

Stellenbosch, Südafrika. Hier arbeitet Magrieta Prins, genannt Auntie Ding. Sie war früher Pflückerin auf den riesigen Traubenfeldern des Westkaps, heute engagiert sie sich als Aktivistin bei Women on Farms Project, einer Frauenorganisation, die sich mit Oxfam für die Rechte von Farmarbeiterinnen einsetzt. Noch vor einigen Jahren hat die 55-Jährige Tag für Tag Trauben geerntet, die irgendwann als Tafeltrauben oder Wein in deutschen Supermärkten landeten.

In Südafrika werden 67 Pestizide verwendet, die so giftig sind, dass die EU sie längst verboten hat.

Marion Lieser, Vorstandsvorsitzende Oxfam Deutschland e.V.

Die Hände der Traubenpflückerin schwollen an

Das hatte Folgen: Obwohl sie vorher kerngesund war, bekam Prins bei der Arbeit immer öfter Asthmaanfälle. Der Arzt vermutete, dass es die Pestizide waren, mit denen die Trauben behandelt werden. Zusätzlich zu den Atemproblemen schwollen ihre Hände an, platzten sogar auf, sobald sie mit den Trauben in Berührung kam. Auch dies eine Folge des Pestizideinsatzes.

In Südafrika werden 67 Pestizide verwendet, die so giftig sind, dass die EU sie längst verboten hat. Die Arbeiterinnen, welche die Trauben ernten, können sich gegen diese Giftstoffe nicht schützen. Zwei Drittel von ihnen bekommen keinerlei Schutzbekleidung von den Farmbetreibern zur Verfügung gestellt, keine Atemmasken gegen giftige Dämpfe, keine Handschuhe gegen ätzende Stoffe und keine Schutzanzüge.

Die Produktionskosten für Wein und Trauben sind gestiegen

Und die Pestizide sind nicht das einzige Problem. In den vergangenen Jahren hat die Wein- und Tafeltraubenindustrie in Südafrika stark gelitten, nur 15 Prozent der südafrikanischen Weinproduzenten arbeiten noch profitabel. Zwischen 2000 und 2015 ist der Exportpreis für südafrikanischen Wein nach Deutschland um mehr als 80 Prozent gefallen. Er liegt nun weit unter den Exportpreisen in andere Länder. Die Produktionskosten für Wein und Trauben sind dagegen in den vergangenen zehn Jahren fast um die Hälfte gestiegen.

Marion Lieser ist Vorstandsvorsitzende von Oxfam Deutschland e.V.
Marion Lieser ist Vorstandsvorsitzende von Oxfam Deutschland e.V.

© iKlicK Fotostudio/Oxfam Deutschland

Unter diesem enormen Preisdruck im südafrikanischen Weinmarkt leiden vor allem Frauen wie Magrieta Prins. 2017 hat Oxfam gemeinsam mit Women on Farms Project einen Bericht mit Zeugenaussagen von Farmarbeiterinnen veröffentlicht. Jede fünfte Befragte erhielt weniger als den Mindestlohn. Durch die Pestizide setzen sie bei ihrer Arbeit ihre Gesundheit aufs Spiel, viele von ihnen werden sexuell belästigt oder müssen dies fürchten.

Wehren können sich die Frauen nicht: Nur die wenigsten sind Mitglied einer Gewerkschaft, denn viele Farmer verbieten Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen, die Plantagen zu betreten.

Bis zu 19 Kilogramm Garnelen pulen Arbeiterinnen pro Stunde

Ausbeuterische Arbeitsbedingungen sind nicht auf den Weinanbau beschränkt. Ein beliebiger Griff ins Tiefkühlfach: gefrorene Garnelen aus Thailand. Unter welchen Bedingungen sie produziert wurden, bleibt für Verbraucher unklar. Doch wer hinter den Kulissen recherchiert, stößt auch hier auf Zustände, die denen auf den südafrikanischen Traubenfeldern in nichts nachstehen.

Für einen 2018 veröffentlichten Oxfam-Bericht befragte die Sustainable Seafood Alliance Indonesia mehr als 100 Arbeiterinnen und Arbeiter in Thailand und Indonesien. In Thailand verdienten 60 Prozent der Befragten so wenig, dass ihre Ernährungssicherheit gefährdet ist. Bis zu 19 Kilogramm Garnelen müssen Arbeiterinnen pro Stunde pulen, Toilettenpausen und Trinkwasser werden kontrolliert und beschränkt. Bei der Arbeit kommen die Menschen mit Eiseskälte, kochendem Wasser und Chlor in Berührung.

Nach den USA ist die EU der zweitgrößte Garnelen-Importeur

Sie berichten, dass sie ohnmächtig zusammenbrechen, weil ihr Körper vor den extremen Umständen kapituliert. Was das mit uns zu tun hat? Nach den USA ist die Europäische Union der zweitgrößte Garnelen-Importeur weltweit. Warum können wir im Supermarkt Trauben und Garnelen kaufen, die unter Bedingungen produziert werden, die in Deutschland verboten sind und die niemand unterstützen will?

Die Antwort auf diese Frage ist so kompliziert wie eine typische Lieferkette: Vom indischen Ozean bis in die deutsche Kühltheke geht die Garnele durch viele Hände. Zwischen südafrikanischer Traubenfarm und der Weinflasche im Supermarktregal stehen Exporteure, Abfüller, Importeure. Viel Raum, um sich vor der eigenen Verantwortung zu drücken.

Am Ende der Lieferkette macht der deutsche Einzelhandel Profit

Oder ist die Antwort doch ganz einfach? Am Ende der Lieferkette macht stets der deutsche Einzelhandel Profit – und zwar beträchtlichen. Ein Oxfam-Bericht von 2018 zeigt, dass bei zwölf typischen Supermarktprodukten von Kaffee bis Bananen die Durchschnittslöhne der Arbeiterinnen und Arbeiter, die sie ernten, weiterverarbeiten oder verpacken, unter dem Existenzminimum liegen. Gleichzeitig verdienen die Supermärkte immer mehr an diesen Produkten. Die Zahlen zeigen: Das System Supermarkt funktioniert nicht – jedenfalls nicht für diejenigen, die unsere Lebensmittel herstellen.

Welchen Einfluss die deutschen Supermarktkonzerne auf die Arbeitsbedingungen in den Herstellerländern haben, zeigt ein Blick nach Südamerika. Hier sind viele Menschen auf den Export von Bananen angewiesen. Deutschland ist ein wichtiger Abnehmer, gut 75 Prozent der Bananen, die bei uns verkauft werden, stammen aus Ecuador, Kolumbien und Costa Rica.

Es werden oft hochgiftige Pestizide verwendet

Und auch hier hat Oxfam in den vergangenen Jahren immer wieder unhaltbare Arbeitsbedingungen für die Menschen aufgedeckt, die die beliebteste Südfrucht der Deutschen ernten und verpacken. Die Probleme klingen bekannt: Es werden hochgiftige Pestizide verwendet, die Löhne sind viel zu niedrig und wer sich wehrt und zum Beispiel einer Gewerkschaft beitritt, wird entlassen.

In Südafrika werden 67 Pestizide verwendet, die so giftig sind, dass die EU sie längst verboten hat.

Marion Lieser, Vorstandsvorsitzende Oxfam Deutschland e.V.

Ende vorigen Jahres wandten sich kleine und große Produzenten, Gewerkschaften und Exporteure aus Ecuador, Kolumbien und Costa Rica damit direkt an die deutschen Einzelhändler. Grund waren Pläne des deutschen Discounters Aldi, seine Einkaufspreise zu senken. Die Produzenten fürchteten einen erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen und noch mehr Preisdruck, den sie hätten auffangen müssen.

Seit Monaten führen die deutschen Supermärkte einen aggressiven Preiskampf um Bananen. Nachdem Lidl im vorigen Jahr ankündigte, komplett auf fair gehandelte Bananen umzustellen, unterbieten sich die anderen Ketten mit den günstigsten Angeboten. Die Niedrigpreise werden direkt an die Zulieferer und Produzenten weitergegeben.

Diese schreiben dann offene Briefe und hoffen auf ein Einsehen – oder sie versuchen, so billig wie möglich zu produzieren und Kosten zu sparen. Das Nachsehen haben die Schwächsten in der Lieferkette: die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Plantagen.

Supermärkte sind die Türsteher im globalen Lebensmittelhandel

Die Macht derjenigen, die am Ende der Kette stehen, hat dagegen weltweit massiv zugenommen. In Deutschland teilen sich nur vier große Ketten 85 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels: die Edeka-Gruppe, die Rewe-Gruppe, die Schwarz-Gruppe – mit Lidl und Kaufland – und die Aldi-Gruppe. Und deutsche Supermärkte sind längst nicht nur der Laden um die Ecke, sondern Global Players.

Lidl hat mittlerweile Geschäfte in 27 Ländern, Aldi expandiert massiv in Europa. Supermärkte sind damit die Türsteher im globalen Lebensmittelhandel: Zehntausende von Produkten müssen täglich auf dem Weg zu den Verbrauchern an ihnen vorbei. Mit dieser enormen Marktmacht können Supermarktketten die Lebensmittelproduktion weltweit beeinflussen – und das tun sie auch.

Sie diktieren nicht nur die Preise, sondern bestimmen auch das Aussehen der Produkte. Eine Banane etwa muss eine bestimmte Mindestlänge und Dicke haben, um in einem deutschen Supermarktregal zu landen. Ob die Menschen, die die Banane geerntet haben, genug zum Leben verdienen, kontrolliert dagegen niemand.

Seit Monaten führen deutsche Discounter einen aggressiven Preiskampf um Bananen

2018 untersuchte Oxfam erstmals, was Supermärkte dafür tun, dass bei der Herstellung ihrer Lebensmittel die Menschenrechte eingehalten werden. Der Supermarkt-Check bewertet, wie transparent Supermärkte handeln, ob sie Arbeitsrechte auf Plantagen schützen, was sie für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern tun oder wie sie Gewalt gegen Frauen verhindern. 2018 schnitten die deutschen Ketten im internationalen Vergleich besonders schlecht ab, im Juni wird ein zweiter Check zeigen, ob sie seitdem etwas getan haben.

Die meisten von uns wollen nicht, dass andere Menschen bei der Produktion unserer Lebensmittel leiden. Sehr viele sind zudem bereit, bewusster einzukaufen. Doch was tun, wenn fair gehandelte Lebensmittel rar sind und meist nicht erkennbar ist, unter welchen Umständen Produkte hergestellt wurden?

Menschenrechte müssen Vorrang haben

Ein Weg besteht darin, nachzufragen und zu zeigen: Das interessiert mich. Auf Siegel wie TransFair zu achten, im Weltladen oder regional einzukaufen, kann ebenfalls ein Anfang sein. Doch wenn die Supermärkte weiterhin erlauben, dass in ihren Produkten Ausbeutung steckt, ist die Politik gefragt.

Die Vereinten Nationen haben festgelegt, dass Unternehmen nicht nur für ihre eigenen Aktivitäten verantwortlich sind, sondern auch dafür, dass ihre Geschäftspartner die Menschenrechte einhalten. In Frankreich etwa sind Unternehmen seit dem vergangenen Jahr gesetzlich haftbar für Menschenrechtsverstöße im Ausland.

Die Pestizide auf südafrikanischen Traubenfeldern, Hungerlöhne auf Fischerbooten in Thailand und fehlende Arbeitsrechte auf Bananenplantagen in Ecuador sind keine Einzelfälle, sondern ein grundsätzliches Problem, das man nur mit einer Lösung beantworten kann: einem Gesetz, das Menschenrechten Vorrang einräumt und verhindert, dass in Zuliefererbetrieben von deutschen Unternehmen Arbeitende ausgebeutet werden. Die Supermärkte und die Politik müssen handeln, sodass nicht andere die Rechnung für unseren Einkauf zahlen.

Marion Lieser

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