Politik: Zögerliches Willkommen
Von Claudia Keller
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Fremd sein ist anstrengend. Schon als Deutsche in England wird der Boden schnell brüchig, wenn das Vertraute fehlt und das Gefühl, dazuzugehören, bröckelt. Wie viel schwerer mag es für die Türkin aus Anatolien sein, in Deutschland einen sicheren Gang zu lernen. Da hilft es, wenn man spürt, dass man willkommen ist. Dass man angenommen wird, auch wenn man in der fremden Sprache nur stammelt, bei allem Hilfe braucht und sich anders kleidet.
Mit der Sprache des fremden Landes vertraut zu sein, wenn es anfangs auch nur reicht, um Brötchen zu kaufen, ist ein wichtiger Schritt, um das unangenehme Fremdsein abzuschütteln. Dass das Zuwanderungsgesetz, das heute im Kabinett beschlossen wird, einfache Deutschkenntnisse schon vor der Einreise voraussetzt, ist deshalb sinnvoll. Allerdings dürfte es schwierig sein, in einem Dorf am Fuße des Ararat ein Goethe-Institut mit entsprechendem Deutschkurs zu finden. Aber da viele türkische Großfamilien mittlerweile Verwandte und Bekannte in Deutschland haben, könnten die ja zumindest ein paar deutsche Brocken vermitteln – vorausgesetzt, sie selbst sind mit der Sprache des neuen Heimatlandes vertraut. Denn genau das ist es ja, was sich Deutschland wünscht und nun auch fordert – zu Recht.
Denn mit Fremden umzugehen, ist mindestens genauso anstrengend wie das Fremdsein. Das zeigte sich beim jahrelangen Streiten um das Zuwanderungsgesetz und die neuen Bleiberechtsregelungen. Die sind für Menschen, die bisher in Deutschland nur geduldet waren. Da hilft es, wenn sich die Einwanderer zum neuen Land bekennen – auch wenn das schwer fällt. Denn auch die jetzt vorliegenden 400 Seiten Gesetzestext atmen nicht den Geist der Großzügigkeit, man sieht keine Spur einer Willkommensgeste. Die Diskussionen um Einwanderer sind immer noch von Abwehr und von Angst geprägt, Angst vor Terroristen, Intensivtätern und zu hohen Kosten.
„Wenn es nicht mehr anders geht, müssen wir jetzt eben Einwanderungsland sein“, so lautet der kleinste gemeinsame Nenner, auf den wir Deutsche uns nach 40 Jahren faktischer Einwanderung nun geeinigt haben. Das ist nicht viel. Wenn es nicht anders geht, müssen wir eben akzeptieren, dass die deutschen Unternehmen, Pflegeheime, Krankenhäuser ohne eingewanderte Arbeitskräfte auf Dauer nicht auskommen, und dass die Migranten fast die Einzigen sind, die momentan Freude am Kinderkriegen haben. Freilich könnte man sich mehr Zuversicht, mehr Gelassenheit und mehr Mut wünschen. Aber Anlass zu jammern ist das nicht.
Denn endlich hält auch hier jener wohltuende Pragmatismus Einzug, mit dem andere europäische Länder, die USA und Kanada seit langem an das Thema Einwanderung herangehen. Endlich haben auch hier die meisten Politiker bemerkt, dass das Thema zu wichtig ist, als dass man es für platten Populismus missbrauchen sollte. Endlich gibt es klare Regeln, an die sich alle halten müssen, Einwanderer wie Einheimische. Wir wollen unsere Grenzen für diejenigen öffnen, die sich anstrengen, die Sprache lernen, sich an die Gesetze halten und Arbeit suchen. Das ist nicht zu viel verlangt. Und manche zwangsverschickte Ehefrau wird sich freuen, wenn sie die Wohnung wenigstens für ein paar Stunden verlassen kann, weil sie jetzt den Integrationskurs besuchen muss. Wer diese Forderungen erfüllt, hat dann aber auch das Recht, hier als vollwertiger Nachbar akzeptiert zu werden, ob er Kopftuch trägt, Moscheen baut oder mit der Großfamilie im Park picknickt. Er sollte in einem reichen und humanen Staat wie Deutschland auch darauf hoffen dürfen, dass einzelne kranke und hilfsbedürftige Familienmitglieder nicht abgeschoben werden, beziehungsweise ebenfalls aufgenommen werden.
Dass die Welt friedlicher wird oder es sich in Afrika bald besser leben lässt, darauf kann man wohl kaum hoffen. Die Frage, wer kommen und wer bleiben darf, wird uns weiter beschäftigen. Wenn in zwanzig Jahren jedes zweite Kind in Berlin aus einer Einwandererfamilie stammt, werden sich auch die Meinungen darüber wieder verändert haben. Es wird also anstrengend bleiben. Aber der Anfang ist gemacht.
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