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Zuflucht im Fall der Apokalypse: Was hinter der Sanierung tausender Luftschutzkeller und Bunker in Russland steckt
Durch Putins Dekret von Mitte Oktober müssen die Behörden im ganzen Land den Bevölkerungsschutz verbessern. Mit teils kuriosen Folgen.
Stand:
Nach der Aufgabe der Stadt Cherson durch die Russen berichtete der unabhängige britische Analyst Benjamin Pietet, dass Moskaus Truppen mit dem Bau von Befestigungsanlagen im Norden der Krim begonnen haben. Auch Bilder von Schützengräben und Panzersperren aus Beton, die Russland in den ukrainischen Regionen Luhansk und Donezk sowie in seiner eigenen Region Belgorod anlegt, verbreiteten sich in den vergangenen Wochen in den sozialen Netzwerken.
Aber nicht nur in der Ukraine beschäftigt sich der Kreml verstärkt mit dem Thema Verteidigung. Russland will seine Verteidigungsbereitschaft und den Bevölkerungsschutz auch im Landesinneren stärken.
Vor rund einem Monat, am 19. Oktober, bekamen diese Bemühungen eine offizielle Form, als Präsident Wladimir Putin mit einem Dekret das Kriegsrecht in den besetzten Gebieten ausrief. Dieses erlaubt es aber auch, das Kriegsrecht bei Bedarf auf ganz Russland auszudehnen.
In dem Dekret sind die Regionen Russlands in vier Gruppen eingeteilt:
- In den besetzten Gebieten der Ukraine (mit Ausnahme der Krim) wurde das „uneingeschränkte“ Kriegsrecht verhängt.
- Die so genannte „mittlere“ Bereitschaftsstufe wurde in den Gebieten Krim, Kursk, Brjansk und Belgorod ausgerufen, wo seit dem Spätsommer regelmäßig Bomben und Granaten einschlagen.
- In den übrigen südlichen und zentralen föderalen Bezirken Russlands (einschließlich Moskau und seiner Vororte) wurde eine „hohe“ Alarmstufe verhängt.
- Im Rest des Landes gab es keine Veränderung des Sicherheitsstatus.
Per Präsidialdekret wurde den Gouverneuren auch das Recht eingeräumt, Notstandsmaßnahmen in ihrem Regierungsbezirk einzuführen – einschließlich Reiseverboten, Ausgangssperren, Zwangsräumungen und Enteignung von Privateigentum für die Bedürfnisse an der Front. Im Ausland würde darüber viel berichtet, allerdings ging dabei eine weitere Folge beinahe unter.
Denn eine am meisten diskutierten Maßnahmen in Russland war die Sanierung der Luftschutzbunker im ganzen Land. Zu Sowjetzeiten waren sie in allen größeren Orten vorgeschrieben. Sowohl die Größe der Einrichtungen als auch der Grad ihres Schutzes variieren – die idealen Schutzräume für den Fall einer nuklearen Apokalypse sind traditionell die in den 50er-Jahren gebauten unterirdischen U-Bahn-Stationen in Moskau und St. Petersburg.
Noch heute kann in jedem dieser Bahnhöfe die Spuren der großen Tore sehen, die am Ein- und Ausgang zum Herablassen bereitstehen.
In den Nullerjahren wurde der kultige Science-Fiction-Autor Dmitry Glukhovsky (der heute die russische Invasion in der Ukraine anprangert und im Exil lebt) durch seine Metro-Romanreihe berühmt – eine Anti-Utopie über Moskauer, die einen Atomkrieg überleben und im Untergrund gegen Horden von Zombies kämpfen.
Was sich nun aber im Zuge von Putins Dekret zeigt: Die aus Sowjetzeiten verbliebenen Schutzräume sind heute größtenteils unbrauchbar – und sie wurden massenhaft in Lagerhallen, Garagen, Schönheitssalons und manchmal sogar in Bars und Saunen umgewandelt.
Behörden gehen auf die Suche nach Schutzräumen
Wie sieht es nun in der Praxis aus? Die Behörden der Region Orjol suchen seit Wochen nach „zusätzlichen Unterschlupfmöglichkeiten“ für die Bürger. Und der Gouverneur der Region, Andrej Klitschkow, erklärte, er habe einen „Koffer für den Notfall“ zusammengestellt.
Er forderte die Einwohner auf, dies auch zu tun. Auf der Webseite des Rathauses erschien die Liste mit dem Inhalt: Erste-Hilfe-Kasten, Einweggeschirr, Lebensmittelkonserven und Wasser für mehrere Tage, Pfeife, Messer, Streichhölzer und mehr.
Der Gouverneur des Gebiets Rostow, Wassili Golubew, wies an, die Keller von Wohngebäuden und Warnsysteme vorzubereiten, um die Bewohner „im Notfall“ zu schützen.

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Auch in der Region Krasnodar finden Kellerprüfungen statt: Schon am 10. Oktober – also vor Putins Dekret – forderte die staatliche Wohnungsaufsicht die Verwaltungsgesellschaften auf, „die Keller von Wohnhäusern in Ordnung zu bringen“. Diese Maßnahmen wurden jedoch mit Beschwerden von Bürgern über den „unhygienischen Zustand“ der Keller begründet.
In Sewastopol ordnete Gouverneur Michail Raswosschajew bereits im August die Inspektion von Luftschutzkellern an. Die Inspektionen ergaben, dass sich zumindest ein Teil der Schutzräume in einem unbrauchbaren Zustand befand.
Auch in der Region Nischni Nowgorod wird eine Bestandsaufnahme der Luftschutzbunker durchgeführt. Die Regionalregierung beabsichtigt, „den aktuellen Zustand und die Funktionsfähigkeit der Zivilschutzanlagen zu bewerten, wobei zu berücksichtigen ist, dass sie von verschiedenen Organisationen betrieben wurden“.
Die Einwohner von Nischni Nowgorod forderten den Gouverneur Gleb Nikitin in den sozialen Netzwerken auf, die Adressen der Luftschutzbunker zu nennen. Journalisten veröffentlichten eine Karte der bekannten Zufluchtsorte und stellten dabei fest, dass einige Bunker nicht mehr zu gebrauchen sind.
Journalisten der Zeitung „Kommersant“ entdeckten auf dem staatlichen Beschaffungsportal mehrere Ausschreibungen für die Reparatur von Luftschutzbunkern. Zum Beispiel eine Ausschreibung des „Sibirischen Forschungs- und Klinikzentrums der Föderalen Agentur für Medizin und Biologie“ zur Ausarbeitung von Planungsunterlagen und Kostenvoranschlägen für die Überholung der Luftschutzbunker in Krasnojarsk und Selenogorsk.
Beide Bunker haben eine Gesamtkapazität von 950 Personen und wurden in der späten Sowjetära in Betrieb genommen. Die Renovierung sollte unter anderem Platz für einen Sanitätsposten, eine Unterkunft für Kranke und Rekonvaleszenten sowie einen Behandlungsraum bieten.
Inwieweit die Instandsetzungen tatsächlich erfolgen, wird sich in vielen Fällen kaum nachverfolgen lassen. Viele Bauarbeiten werden, wie in Russland bei öffentlichen Aufträgen verbreitet, abgerechnet und bezahlt, aber niemals durchgeführt werden.
Besonderes Augenmerk liegt natürlich auf Moskau. Unmittelbar nach der Veröffentlichung von Putins Dekret versprach Gouverneur Sergej Sobjanin, dass „die Stadt in ihrem gewohnten Rhythmus weiterleben wird“.
Die russische Hauptstadt ist im Rahmen bilateraler Nuklearabkommen mit den USA von einem der stärksten Luftverteidigungsschirme der Welt umgeben, da die sowjetische Führung in der Hauptstadt alle nuklearen „Entscheidungszentren“ stationiert hatte.

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Die Lage der Bombenkeller in der Stadt sind nicht geheim, Passanten entdeckten sogar Hinweisschilder auf sie in den Straßen. Die städtischen Behörden betonen, dass Renovierungen geplant sind und regelmäßig durchgeführt wurden, noch bevor die „Sonderoperation“ in der Ukraine begann.
In Moskau ist die genaue Lage der Bunker Verschlusssache
Die Regionaldirektion des Ministeriums für Notfallsituationen erklärte, dass die Maßnahmen zur Einrichtung von Schutzräumen in den Kellern von Wohngebäuden auf die Initiative der Bewohner zurückzuführen seien und das Ministerium nichts damit zu tun habe.
Ein Moskauer, der im Nordwesten der Stadt lebt, rief vor kurzem persönlich bei der Bezirksverwaltung an, um sich zu erkundigen, wie es um den Zivilschutz in seinem Bezirk bestellt ist – und wohin er im Falle eines Luftalarms laufen müsse.
Die Beamten weigerten sich, ihm am Telefon etwas mitzuteilen, da es sich um „Verschlusssachen“ handele. Sie luden ihn aber zu einem persönlichen Termin ein, bei dem er seinen Personalausweis und den Nachweis seiner Anmeldung in dem Gebiet vorlegen musste.
An der Rezeption bat der Beamte darum, seine Telefonnummer zu hinterlassen, woraufhin er eine halbe Stunde später einen Rückruf erhielt und ihm die Adresse des nächstgelegenen Tierheims mitgeteilt wurde – es liegt nur rund 150 Meter von seinem Haus entfernt. Allerdings ist das Tierheim derzeit geschlossen.
Hinweis: Da die Informationen und Beschreibungen in diesem Artikel von der russischen Regierung als sicherheitsrelevant eingestuft werden könnten, nennen wir keinen Autorennamen.
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