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Mursi-Anhänger beklagen den Tod ihrer Mitstreiter.

© Reuters

Zusammenstöße in Ägypten: "Die Lage ist extrem instabil"

In der Nacht zu Montag gab es eine blutige Konfrontation zwischen Armee und Muslimbruderschaft in Ägypten. Wird das Land in einem Bürgerkrieg enden? Ein Interview mit dem ägyptischen Politikwissenschaftler Mustafa El-Labbad.

Mustafa El-Labbad (48) ist Chef des „Al Sharq Zentrums für regionale und strategische Studien”, einem privat finanzierten Think Tank in Kairo. Der Politikwissenschaftler ist ein viel gefragter politischer Kommentator in der arabischen Welt. Er hat sieben Jahre in Deutschland gelebt und in Berlin über Ägyptens Finanzpolitik promoviert.

 Nach der blutigen Konfrontation zwischen Armee und Muslimbruderschaft in der Nacht zu Montag, was wird jetzt passieren?

Schwer zu sagen, die Lage ist extrem instabil, sie kann schnell außer Kontrolle geraten. Auf dem Tahrir-Platz gibt es jeden Abend eine riesige Unterstützung des Volkes für den neuen politischen Prozess. Im Prinzip bin ich optimistisch für die Zukunft Ägyptens. Diese zweite Revolution ist unumkehrbar. Die Muslimbrüder verfügen nicht über die Macht, die Verhältnisse wieder umzudrehen. Am Ende werden sie sich in das neue politische Gefüge integrieren. Denn innerhalb der Muslimbruderschaft gibt es enorme Spannungen zwischen der Jugend und der alten Garde.

Die Salafisten haben fünf Tage nach dem Militärputsch bereits ihre Beteiligung an dem politischen Prozess aufgekündigt. Steht damit alles bereits vor dem Ende, bevor es überhaupt angefangen hat?

Die Salafisten machen politische Spiele. Ihr regionaler Hauptsponsor Saudi-Arabien hat den Sturz von Mohammed Mursi begrüßt, sicher aus anderen Gründen als die hiesigen Revolutionäre. Die Salafisten werden in der Koalition bleiben. Sie sind ehrgeizig und würden gerne die Muslimbruderschaft überflügeln. Andererseits wird ihnen in den eigenen Reihen vorgeworfen, das Lager des politischen Islams verraten zu haben. Sie müssen ihr Verhalten also damit rechtfertigen, dass sie die weitere Säkularisierung des Landes gestoppt und den Liberalen wertvolle Kompromisse abgerungen haben. Sie werden taktieren, aber nicht austreten.

Kann die neue revolutionäre Allianz das Land besser managen als der abgesetzte Präsident Mursi?

Die Herausforderungen sind enorm groß. Denn viele Leute sind nicht nur wegen der Politik Mursis, sondern auch wegen der schlechten Wirtschaftslage und der fehlenden sozialen Gerechtigkeit auf die Straße gegangen. Ägypten hat mit vielen widerstreitenden Interessen zu kämpfen. Einerseits wollen wir wieder ausländisches Kapital anlocken, andererseits brauchen wir dringend mehr soziale Gerechtigkeit. Einerseits wollen wir wieder Sicherheit auf den Straßen, andererseits brauchen wir diesen Übergangsprozess nach der Absetzung von Mursi. Wir müssen jetzt Prioritäten setzen. Die Uhr tickt, es ist absolut dringend, möglichst schnell eine Übergangsregierung zu bilden. Ich bin überzeugt, das Ägypten dann besser regiert wird als vorher.

Wie geht es dann weiter mit der Muslimbruderschaft?

Die Muslimbrüder sind eine starke und sehr gut organisierte Minderheit. Sie werden bei den nächsten Parlamentswahlen wieder eine gute Position erringen. Sie wissen, dies alles wird verspielt, wenn sie jetzt zur Gewalt greifen. Es gibt bereits indirekte Verhandlungen zwischen der Muslimbruderschaft und der Armeespitze. Die Streitkräfte und die zivile Übergangsführung wollen die Muslimbrüder integrieren, um zu beweisen, dass das Ganze kein Militärputsch ist. Der neue Interimspräsident hat zwei Berater ernannt, die gute Verbindungen in das islamistische Lager haben. Die Muslimbrüder dagegen müssen Rücksicht nehmen auf ihre Basis, die auf der Straße ist. Sie können den Sturz Mursis und die neue Führung also nicht einfach anerkennen. Sie müssen versuchen, möglichst viele Zugeständnisse herauszuholen.

 Wie hoch ist die Gefahr einer weiteren Eskalation der Gewalt?

Die Gefahr besteht, aber die Muslimbruderschaft ist nicht in der Lage, wie eine militärische Organisation zu agieren. Ich bin ein Gegner der Muslimbruderschaft, aber sie sind definitiv keine Waffenbruderschaft oder Terrororganisation. Anders ist das bei kleinen Fraktionen in ihrem Umfeld wie zum Beispiel Gamaa Islamiya und radikalen Gruppen auf dem Sinai, wo die Lage absolut prekär ist. Die Muslimbruderschaft hat mit den gegenwärtigen Großprotesten alle ihre Karten ausgereizt. Ihr stellvertretender Parteichef trat am Sonntag im Fernsehen auf. Auf mich wirkte er ziemlich geprügelt und defensiv, ein Mann, der nur noch Durchhalteparolen an das eigene Lager ausstößt und alle anderen beschimpft. Seine Bewegung ist bankrott. Ich glaube aber nicht, dass sie jetzt zur Gewalt greifen. Dann hätten wir Bürgerkrieg.

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