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Politik: Zwei Schüler, ein Lehrer

Vor den Fernsehduellen liegt Bush vor Kerry – sie haben beim selben Professor reden gelernt

Prophezeiungen erfüllen sich fast nie. Die Gegenwart hält nur wenige Indizien für das bereit, was in der Zukunft geschieht. Das sollten all jene beherzigen, die John Kerry bereits abschreiben. Heute findet in Florida das erste von drei großen Fernsehduellen zwischen dem Herausforderer und George W. Bush, dem Amtsinhaber, statt. Das Thema ist die Außenpolitik, der Irakkrieg steht im Zentrum. Was das Image beider Kandidaten auszeichnet, lässt sich in Stichworten zusammenfassen. Bush steht für knappe Sätze, Persönlichkeit, Entschlossenheit, Konsistenz, Unbelehrbarkeit, Emotionalität. Kerry steht für lange Sätze, Substanz, Fachkompetenz, Ehrgeiz, Wankelmut, Rationalität.

Einen „asymmetrischen Krieg“ sagt daher James Fallows voraus, der im Magazin „The Atlantic Monthly“ einen langen Artikel über die Redequalitäten von Kerry und Bush geschrieben hat („When George Meets John“). Darin steht auch ein kleines, überraschendes Detail: Bush und Kerry, die beide auf der Eliteuniversität Yale waren, sind dort von demselben Rhetorikprofessor, Rollin G. Osterweis, ausgebildet worden. „Rollie“, der 1982 starb, hielt besonders viel von Kerry. Bush wiederum kann bis heute einige Lehren aus dem Kurs „The History of American Oratory“ zitieren.

Wer von den beiden wird in knapp fünf Wochen die Präsidentschaftswahlen gewinnen? Die Mehrheit der Auguren setzt derzeit auf Bush. In den Umfragen führt er mit deutlichem Vorsprung. Seit dem Parteitag der Republikaner, vor vier Wochen in New York, hat er seine Führung behauptet. Vor allem auf dem Gebiet der Terrorbekämpfung geben ihm die Amerikaner weitaus bessere Noten als Kerry. Dessen Ansehen wiederum hat durch einige äußerst wirksame Anzeigenkampagnen konservativer Kreise erheblich gelitten. Kerry haftet das Etikett „Flip-Flopper“, Wendehals, an. Bush lässt keine Gelegenheit aus, darüber Witze zu reißen: „Erst hat Kerry den Irakkrieg als richtig gepriesen. Heute spricht er vom ,falschen Krieg’. Kerry hat so viele unterschiedliche Ansichten, wahrscheinlich könnte er anderthalb Stunden lang nur mit sich selbst diskutieren.“

Doch sicher sollte sich Bush nicht fühlen. Die politische Stimmung ist einerseits wechselhaft, andererseits kritisch. Für seine Leistungen bekommt der Präsident keine guten Noten. Eine Mehrheit der Amerikaner meint, die Dinge liefen in die falsche Richtung, etwa die Hälfte hält den Irakkrieg für einen Fehler. Außerdem geht Bush nicht als Außenseiter ins Rennen, wie vor vier Jahren gegen Al Gore. Heute erwartet man von ihm mehr als immer nur Wiederholungen.

Kerry wiederum, das sagen seine Freunde, läuft immer zur Hochform auf, wenn er hinten liegt oder in die Enge getrieben wurde. Die TV-Debatten zwingen ihn zur Prägnanz. Zum Irakkrieg hat er vor einer Woche endlich klar Position bezogen und ihn als Ablenkung vom Kampf gegen Al Qaida kritisiert. Zweifellos hat Kerry ein schlechteres Vor-Debatten-Image als Bush. Doch das kann auch ein Vorteil sein. Kerry hat mehr zu gewinnen, Bush mehr zu verlieren.

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