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Politik: Zwischen Geld und Gewissen

DAS NEUE BILD VOM ARZT

Von Hartmut Wewetzer

Wenn die Mitarbeiter der Lufthansa streiken, kann das unbequem werden. Man muss Wartezeit in Kauf nehmen, eine andere Fluggesellschaft wählen oder ganz einfach seinen Flug verschieben. Aber was ist, wenn die Ärzte in den Ausstand treten und die Praxen geschlossen bleiben? Eine Krankheit kann man nicht verschieben, und abwarten hilft leider auch nicht immer. Deshalb ist der für Ende des Monats geplante Streik der Arztpraxen so brisant. Gesundheit ist für die meisten Menschen schließlich der höchste Wert. Dem Arzt vertrauen sie Leib und Leben an. Um so größer ist die Irritation, wenn plötzlich davon die Rede ist, dass die Ärzte streiken wollen, verbrämt mit der Formel „Dienst nach Vorschrift“.

Aus dem Mund eines Arztes klingt die Bürokratenfloskel wie ein Widerspruch in sich. Von einem Arzt muss man mehr verlangen als nur das Ausführen von Vorschriften. Vielen Leuten dürfte es deshalb schwer fallen, Verständnis für den Protest aufzubringen. Sie werden sagen: Ein Arzt darf seine Patienten nicht im Stich lassen. Dem dürfte schwer zu widersprechen sein. Manchen drängt sich zudem der Eindruck auf, den niedergelassenen Ärzten würde es nur darum gehen, sich ihr Einkommen zu sichern. Dass sich daneben immer wieder Ärzte unrechtmäßig zu bereichern suchen, passt ins Bild. Gleichzeitig fühlen sich Patienten mit Rezepten abgespeist und nicht so richtig ernst genommen. Teure Fließbandmedizin statt Zuwendung, lautet der Vorwurf.

Die Ärzte wiederum sehen sich in die Enge getrieben, zu Unrecht zum Buhmann der Gesundheitspolitik gemacht. Sie sind zornig, weil sie eine Nullrunde verkraften müssen und der wachsende wirtschaftliche Druck ihnen zu schaffen macht. Viele müssen für das gleiche Geld mehr und mehr arbeiten, klagen über unerträgliche Bedingungen und haben immer weniger Zeit für ihre Patienten. Nicht nur in den Praxen, sondern auch in den Krankenhäusern machen sich die finanziellen Zwänge immer stärker bemerkbar. Ökonomisches Effizienzdenken gefährde den humanen Umgang mit kranken Menschen, heißt es in einem Aufruf der Bundesärztekammer.

Es stimmt: Gesundheit ist keine Ware wie jede andere. Ein Krankenhaus ist keine Autoreparaturwerkstatt, der Patient kein Automat. Menschlichkeit kann man nicht rationalisieren. Aber ebenso ist klar, dass die goldenen Jahre des Überflusses auch für die Medizin vorbei sind. Der Arzt kann nicht mehr frei von allen wirtschaftlichen Zwängen seinen Patienten jede mögliche Wohltat angedeihen lassen. Der frühere Berliner Ärztekammerpräsident Ellis Huber hat einmal vom Widerspruch zwischen „Ethik und Monetik“ gesprochen. Heute kommt es darauf an, dass der Arzt beides im Auge behält: das Wohlbefinden des Patienten und den finanziellen Spielraum.

Der Arzt als allwissender, über jeden Zweifel erhabener Halbgott – dieses Klischee gehört weitgehend der Vergangenheit an. Das Arztbild ist im Wandel, der Mediziner auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft. Er steht heute einem Kunden – pardon, Patienten – gegenüber, der kritischer geworden ist, nachfragt und oft gut informiert ist. Der ärztliche Dienstleister wird sich mehr als bisher auf die Finger sehen lassen müssen, er wird die Qualität seiner Arbeit kontrollieren lassen und sich fortbilden müssen, um mit dem Fortschritt mithalten und im Wettbewerb bestehen zu können.

In den Veränderungen stecken auch Chancen. Für mehr Qualität, bessere Verwendung der knappen Mittel und mehr Transparenz. Schließlich: Gesundheit ist der Wachstumsmarkt der Zukunft, weil die Menschen älter werden und das Angebot an Gesundheitsleistungen weiter zunehmen wird. Das Gesundheitswesen ist eine noch immer unterschätzte Jobmaschine, ihre Zukunft trotz heftiger Verteilungskämpfe weitgehend gesichert. Das ist in diesen Tagen eine Menge wert.

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