Politik: Zwischen Schadenfreude und "Kollateral"-Ängsten
ZAGREB .Der Krieg beim Nachbarn läßt niemanden kalt.
ZAGREB .Der Krieg beim Nachbarn läßt niemanden kalt."Zuerst haben die Serben uns angegriffen, dann haben sie Bosnien angegriffen und jetzt kann ich meine Genugtuung nicht verbergen", gesteht Vlado.Mit seinen Gefühlen ist der Student in Zagreb nicht alleine.Die Zeit, in der jugoslawische Artillerie die Stadt Vukovar zur Ruine machte oder sich die Zagreber im Visier serbischer Geschütze wußten, liegt nicht weit zurück.So standen die ersten Wochen der Nato-Luftangriffe auf den Nachbarn an der Ostgrenze im Zeichen der Schadenfreude.Zwei Passanten wurden beim Freudenfeuer von Querschlägern verletzt.
Einzig Zarko Puhovski, Zagreber Politologe und unabhängiger Beobachter, wagt öffentliche Kritik an der "Kollektivstrafe" für die Serben."Die Kroaten denken, daß die Serben begonnen haben und jetzt bezahlen müssen." Kroatien hat 1995 im Blitzkrieg gegen die abtrünnigen Rebellen in der Krajina 200 000 kroatische Serben in die Flucht getrieben, und bisher konnte nur eine kleine Minderheit in die alte Heimat zurückkehren: Die "ethnische Säuberung" des Kosovo sei heute fast so perfekt wie die Vertreibung der Serben aus Kroatien, sagt Puhovski: "Man könnte sich fragen, weshalb Kroatien 1995 nicht bombardiert wurde."
Umgekehrt ist aber von Solidarität mit den Kosovaren wenig zu spüren.Eher sorgen sich die Kroaten um die Rückwirkungen auf das eigene Wohl.Zagreb bezifferte den "kollateralen" Schaden der Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien bereits auf 1,5 Milliarden Dollar.Massiv schlagen die Einbußen beim Tourismus zu Buche.Nach dem Friedensschluß in Bosnien waren wieder so viel Gäste gekommen wie Ende der achtziger Jahre.Die Eskalation im Kosovo hat den Tourismus zurückgeworfen.Der britische Rückversicherer Lloyds stufte Kroatien gleich zu Beginn der Bombenkampagne als Zone mit erhöhtem Risiko zurück.Chartergesellschaften oder Reiseagenturen strichen den Urlaub an der kroatischen Adria aus ihren Katalogen.
Die Tourismusbranche ist noch immer mehrheitlich im staatlichen Besitz oder unter Kontrolle der neuen Nomenklatura um Präsident Franjo Tudjman.Die Regierung hat bereits die Notbremse gezogen und wichtige Investitionsvorhaben zurückgestellt.Zugleich wird die Landeswährung Kuna künstlich hochgehalten.
An der Oberfläche, so Wirtschaftsexperte Kalogjera, präsentiert Kroatien ein Bild der Stabilität mit tiefer Inflation und unveränderten Wechselkursen.Doch die Industrie produziert noch immer nur 57 Prozent vom Vorkriegsniveau, während inzwischen fast doppelt so viel importiert wie exportiert wird.Die Arbeitslosigkeit stagniert bei 20 Prozent, und eine Million Rentner müssen oft auf die monatlichen Zahlungen warten.Nicht zuletzt angesichts der Wirtschaftsmisere im Land kann die geeinte Opposition erstmals hoffen, die Mehrheit der Tudjman-Partei im Parlament zu brechen.Auf den Wartebänken stellt man sich derzeit allerdings die bange Frage, ob nun die Nato-Intervention im Nachbarland dem Machtwechsel eher förderlich ist oder nicht.
Nicht zu übersehen ist, daß die westlichen Botschafter Franjo Tudjman und dessen Regierungsmannschaft wieder mit Samthandschuhen anfassen, seit die Nato auf die Loyalität von Jugoslawiens Nachbarstaaten angewiesen ist.Vergessen scheint die Liste mit den akuten Mängeln an Demokratie und Rechtstaat.Tudjman selbst stellte jetzt seine "konstruktiven" Vorschläge für eine Kosovo-Friedenslösung vor: Der Autor des "ethnisch gesäuberten" Kroatiens redete praktisch einer Teilung des Kosovo das Wort.Ein Plan, den Belgrad als "Rückzugsvariante" handelt."Tudjman wollte Milosevic zu Hilfe kommen", verspottet Zarko Puhovski die Solidarität der Mächtigen.Schließlich hatten die zwei vor Jahren auch die Teilung Bosniens unter sich vereinbart.