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Von Matthias Matern: 20 Millionen Euro Schaden in 20 Minuten
Zwei Monate nach dem Tornado besucht Ministerpräsident Matthias Platzeck Mühlberg. Noch hat sich die Stadt nicht erholt
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Mühlberg - Noch immer sind nicht alle Schäden beseitigt. Auch am Dach des altehrwürdigen Mühlberger Renaissanceschlosses aus dem 16. Jahrhundert klaffen noch keinere Lücken, die der schwere Tornado Ende Mai in die Reihen roter Dachziegeln gerissen hat. „Das Gebäude ist noch eingerüstet. Die größten Löcher haben wir bereits wieder abgedeckt“, berichtet Schlossherr Hartmut Schröter. Der schwere Wirbelsturm, der am Pfingstmontag 2010 die kleine Stadt im Elbe-Elster Kreis mit nach offiziellen Angaben bis zu 250 Kilometer pro Stunde heimgesucht hatte, brachte Mühlberg damals bundesweit in die Schlagzeilen. Knapp 300 Dächer deckte der Tornado innerhalb von nur 20 Minuten ab. Verletzt wurde in der rund 4400-Einwohner-Stadt zwar niemand, doch in der sächsischen Nachbarstadt Großenhain kostete der Sturm einem sechsjährigen Mädchen das Leben. Allein in Mühlberg wurde der finanzielle Schaden auf etwa 20 Millionen Euro geschätzt. Am heutigen Samstag will sich Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) bei einem Besuch über den Stand der Schadensbeseitigung informieren.
Auch Schlossherr Schröter hat die Schäden am Dach schätzen lassen. „Rund 200 000 Euro“, sagt er. Gewütet hat der Tornado allerdings nicht nur am Dach des ehemaligen Jagdschlosses, das Herzog Moritz von Sachsen aus dem Hause der albertinischen Wettiner 1545 erbauen ließ und dem dessen Bruder Kurfürst August wenige Jahre später noch eine Kapelle im spätgotischen Stil hinzufügen ließ. „Mehrere Fensterscheiben sind ebenfalls zersplittert, als abgerissene Äste dagegen geschleudert wurden“, erinnert sich Schröter. „Nur knapp zwei Stunden vor dem Sturm habe ich noch im Hof gefegt, weil ich eine Besuchergruppe an dem Tag erwartete“, berichtete er weiter. Später habe er mit den Gästen Zuflucht im Schlosskeller gesucht. „So einen Sturm habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht mitgemacht“, versichert der Schlossherr.
Außergewöhnlich aber sind solche Wirbelstürme in Deutschland nicht. Von 20 bis 30 Tornados im Jahr geht der Deutsche Wetterdienst in Offenbach in Hessen aus. Die Dunkelziffer sei aber weit größer“, schätzt Andreas Friedrich, Tornado-Beauftragter beim Deutschen Wetterdienst. „Häufig fehlen verlässliche Augenzeugenberichte oder Fotos“, so der Experte. Immer wieder werde von angeblichen Tornados berichtet, die sich bei näherer Betrachtung jedoch als andere Arten schwerer Stürme herausstellen. „Etwa als sogenannter Downburst. Ein starker Sturm mit Geschwindigkeiten ebenfalls von bis zu 250 Kilometer in der Stunde, der typischer Weise schweren Gewittern voraneilt, aber nur geradlinig weht“, erläutert Fachmann Friedrich. Dem Tornado eigen sei dagegen der Wirbel, der sich in Form der Windhose schlauchartig von der Erdoberfläche in die Höhe erstreckt.
Vor einem Tornado zu warnen, sei in Deutschland fast unmöglich, sagt Andreas Friedrich. „Anders als in den USA zum Beispiel, lösen sich die Stürme in Deutschland aufgrund der Geografie sehr schnell wieder auf.“ In besonders schweren Fällen lasse sich ein Tornado auch am Schadensbild erkennen, berichtet der Wirbelsturm-Experte. „Dann sieht man Bäume, die nicht einfach abgeknickt sind, sondern regelrecht abgedreht wurden, oder deren Rinde wie durch Sandstrahlen abgeschält wurde.“
Regionale Schwerpunkte für Tornados lassen sich nach Erkenntnissen des Wetterdienstes nicht ausmachen. Vor Mühlberg braute sich zuletzt im Juni 2004 ein schwerer Wirbelsturm in Micheln (Sachsen-Anhalt) zusammen. Der Tornado erreichte damals Spitzengeschwindigkeiten von rund 300 Stundenkilometern. Es gab mehrere Verletzte, zwei Drittel des Ortes wurden zerstört.
In Mühlberg bremst bislang die klamme Haushaltskasse den Wiederaufbau. Die Kommune versucht 112 000 Euro aufzubringen, um 500 000 Euro Fördermittel aus dem Topf für Stadtsanierung abrufen zu können. Einige Unternehmen und Privatleute haben bereits gespendet. 50 000 Euro sind beisammen. Auch Brandenburgs Innenminister Rainer Speer (SPD) hatte Anfang Juni verkündet, die Stadt werde „nicht allein gelassen“. Mitte Juni habe Mühlberg einen Antrag auf Zuweisung aus dem Ausgleichsfonds des Landes gestellt. Mit einer Entscheidung sei in Kürze zu rechnen, hieß es gestern aus dem Innenministerium.
Schlossherr Schröter wollte nicht warten. Er bezahlt die Dachreparatur aus eigener Tasche. Für größere Feiern kann man das Schloss mieten, da muss das Dach dicht sein. Ein „bisschen allein gelassen“ komme sich Schröter aber dann doch vor. Immerhin seien direkt nach dem Tornado Vertreter aus einem Ministerium bei ihm gewesen, um den Schaden zu begutachten. Seitdem sei weiterer Besuch ausgeblieben. „Platzeck kann gerne vorbeikommen. Allerdings habe ich eine Hochzeit im Haus“, sagt Schröter.
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