SERIE WENDEKalender: 22. Januar 1989
Das Perestrojka-Virus breitet sich in der DDR aus
Stand:
JAHRE
MAUERFALL
Der Berliner Tagesspiegel berichtet von „internen Studien“ einiger „DDR-Soziologen“ über das veränderte gesellschaftliche Klima in der DDR. Das Perestrojka-Virus habe sich inzwischen flächendeckend verbreitet. „Das Bestreben, in den Betrieben mitzureden, ist deutlich gewachsen. Das trifft auf Arbeiter ebenso zu wie auf Hochschullehrer.“ Besonders kritisch würden Umweltfragen begleitet. „Verschiedentlich sahen sich deshalb DDR-Behörden in letzter Zeit gezwungen, fragwürdige und umstrittene Vorhaben aufzugeben.“ Die meisten Bürger hätten jedoch die Hoffnung auf Besserung aufgegeben und den „Rückzug ins Private“ vollzogen. „Nach vorsichtigen Schätzungen liegen den Ämtern in der DDR derzeit eine Viertelmillion Ausreiseanträge vor.“
Selbst die Stasi kann ihre Reihen nicht mehr fest geschlossen halten. Nach dem Verbot der reformorientierten Sowjet-Zeitschrift Sputnik hatten sich einige Offiziere besorgt an das Zentralkomitee der Partei gewandt. Ein gewisser Horst K., „langjähriger Propagandist“, vertrat die Auffassung, in den Medien der DDR sollten auch gelegentlich Bürger der DDR zu Wort kommen. Nach diversen „Aussprachen“ zu seinen unhaltbaren Positionen kam es zu einem Parteiverfahren. Genosse K. ruderte nun zurück, gab sich selbstkritisch und kam mit einer „Rüge“ davon. In einem internen Bericht zur Aufarbeitung ähnlicher Vorgänge konstatierte die Stasi charakterliche Defizite bei führenden Kadern. Es fehle an „parteilicher“ Überzeugungskraft und der Einsicht in die „Notwendigkeit des unerschütterlichen Vertrauens in die Richtigkeit der Politik der Partei“. loy
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: